Alter Verwalter

Wann kommt die letzte Ausfahrt Richtung Glück auf unserem Lebensweg und wann sind wir zu alt zum Studieren?

Egal ob der erste Kuss, das erste Mal, der Ausbildungs- oder Studienstart oder die Einstellung des Toasters. Es scheint für alles den richtigen Zeitpunkt zu geben und wir alle wissen, wie es endet, wenn man ihn verpasst: Der Toast ist verbrannt und landet im Müll. Doch wie spürt man, dass dieser richtige Zeitpunkt gekommen ist? In welchem Alter sollten wir anfangen, den Rest unseres Lebens zu planen und ab wann fängt dieser Rest des Lebens überhaupt an?

 

Der richtige Zeitpunkt
„In den Dreißigern möchte ich schon gern eine gewisse finanzielle Sicherheit haben und die Kosten meines Studiums sollte ich bis dahin auch lange raushaben“, plant die 23-jährige Jurastudentin Anna. Sie hat der Norm entsprechend direkt nach dem Abitur die Entscheidung getroffen, zu studieren und beabsichtigt eine berufliche Laufbahn als Anwältin. Doch kann man sich so früh im Leben wirklich sicher sein, dass man sich nicht doch noch einmal umentscheiden möchte? Gibt es nach einem Fehlstart eine Aussicht auf einen neuen Versuch?
Die bereits 48-jährige Ida ist davon überzeugt: „Wenn du anfängst dein Leben zu planen, hörst du für kurze Zeit auf, es so zu leben, wie es kommt.“ Dementsprechend gehört sie zu den wenigen, die mit Mitte 30 den Bürosessel gegen den Klappstuhl im Vorlesungssaal tauschten. Auch Marie hat mit 27 Jahren nach einer abgeschlossenen Ausbildung und einigen Berufsjahren angefangen zu studieren. „Wenn ich auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hätte, dann hätte ich es wahrscheinlich nie gemacht. Ich bin dann einfach ins kalte Wasser gesprungen.“ Womöglich findet sich darin die Antwort. Vielleicht gibt es diesen einen richtigen Zeitpunkt schlichtweg nicht. Vielleicht gibt es ganz viele Zeitpunkte in unserem Leben und wir müssen entscheiden, welchen wir zum richtigen machen wollen.

Erfolgsdruck unter Studierenden
Schneller, höher, weiter – jünger? Im Prüfungsjahr 2019 lag das durchschnittliche Alter von AbsolventInnen nach dem Abschluss des Erststudiums bei 23,6 Jahren. Zehn Jahre zuvor lag der Durchschnitt einer aktuellen Statista-Statistik zufolge noch bei 27,5 Jahren. Damals war ein späterer Studienbeginn keine Seltenheit. Heutzutage liegt es im Trend, in allem was wir tun, immer schneller und besser werden zu müssen. Bestenfalls beginnt man das Studium also so früh wie möglich, um es dann noch früher abzuschließen – auch wenn diese Welle aus Druck und Erwartungen den ein oder anderen überschwemmt.

Nick ist 21, studiert Medienwissenschaften und wusste schon bei der Hälfte seines Studiums, dass er die Regelstudienzeit überschreiten wird. „Abgesehen von dem illusorischen Pensum möchte ich mich wirklich mit den Themen auseinandersetzen und nicht einfach schnell in drei Wochen irgendwie die 15 Seiten für eine Hausarbeit vollbekommen“, erklärt er entspannt, „ich studiere doch aus Interesse für mein Fach und nicht, um es so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.“ Er sieht also keine direkte Korrelation zwischen Alter und Erfolg. Maries Alter hat sie zwar nicht vom Studieren abgehalten, jedoch bleiben Gedanken wie „Ich bin jetzt 30 Jahre und immer noch dabei“ oder „Man wird ja nicht jünger“ nicht aus. Entscheidend ist für sie jedoch, dass man alles für das eigene Glück tut und versucht, sich von niemandem unter Druck setzen zu lassen.

 

„Älter werden heißt auch besser werden“

 

Steine auf dem Lebensweg
Wenn das Leben dir Steine gibt, dann mach – ach nee, das waren ja Zitronen. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass einige Wege in manchen Lebensjahren leichter zu beschreiten sind als andere. Der Weg vom Sofa zum Kühlschrank erscheint mit 50 Jahren auch etwas länger als mit 20. Aber mal ehrlich: In unserer Gesellschaft spielt das Alter sogar per Gesetz eine zentrale Rolle, wodurch Entscheidungen und Verläufe des Lebens beeinflusst und eingeschränkt werden können.

Mit dem 14. Lebensjahr gelten wir offiziell als strafmündig. Mit 16 dann der Durchbruch, endlich Bier kaufen zu können und bei Volljährigkeit sogar allein vom Parkplatz zu fahren. Auch finanzielle Unterstützungen sind ans Alter gebunden. Demnach endet der Erhalt von Kindergeld ab dem 25. oder maximal dem 27. Lebensjahr bei Nachweis einer laufenden Ausbildung oder eines Studiums. Welche zusätzliche Unterstützung gibt es abgesehen davon speziell für Studierende noch? BAföG – vorausgesetzt, man ist beim Beginn des Bachelor-Studiums nicht älter als 29, beim Start des Masters nicht älter als 35 und erfüllt alle weiteren Vorgaben. Mitte 30 sind wir also endgültig ausfinanziert. „Als ich mein Studium mit 36 Jahren begonnen habe, wusste ich, dass BAföG und Studi-Rabatte bei der Krankenversicherung, anders als bei meinen KommilitonInnen, für mich entfallen. Ich war auf mich allein gestellt“, sagt Ina abgeklärt. And that’s what we call „Chancengleichheit“ in Germany!

Recht unverblümt vermittelt uns die Gesellschaft, man solle in diesem Alter ja dann wohl endlich mal fertig sein mit der Ausbildung für die Tätigkeit, die man dann bis zur Rente ausübt. Es werde schließlich irgendwann mal Zeit, die Grundsteine fürs Leben zu legen und wer bis dahin noch nicht angefangen hat, braucht sich eigentlich auch nicht mehr umorientieren. Für Marie gab es ebenfalls kein Kindergeld mehr. „Trotz des BAföGs wäre es mir ohne die finanzielle Unterstützung meiner Mutter nicht möglich gewesen, zu studieren“, gesteht sie ganz offen.

Zeit ist keine Einbahnstraße
„Älter werden heißt auch besser werden“, prophezeit Ina stolz. Grundsätzlich lernen wir nie aus, sondern immer nur dazu. Rückblickend ist Marie sicher, dass sie mit 20 Jahren nicht die richtige Studienwahl getroffen hätte. „Einfach, weil ich noch gar nicht richtig wusste, was ich machen und wer ich einmal sein möchte.“ Ein Neuanfang bedeutet ja nicht immer, dass man bei Null beginnt. Er ist vielmehr eine Chance, in unserem zukünftigen Leben tatsächlich glücklich zu sein. Also ist es doch auch nicht weniger wert, erst im fortgeschrittenen Alter herauszufinden, was man (werden) möchte. „Es kostet vielleicht zusätzliche Kraft, aber es kostet noch viel mehr, den Rest des

Lebens damit zu verbringen, unglücklich mit dem zu sein, was man jeden Tag tut“, bestätigt Ina. Vielleicht trifft die altbekannte Floskel „Besser spät als nie“ den Nagel auf den Kopf. Auch wenn unsere Gesellschaft grundsätzlich eine andere Meinung vertritt, ist es prinzipiell nie zu spät für einen Neuanfang. Wir wissen doch alle gar nicht, wie viele Jahre wir bekommen, also warum nicht das Leben für all das nutzen, was wir lieben? Nur so sind wir selbst der Verwalter über unser Alter.

 

Text Michelle Abdul-Malak
Foto Nick Demou-StockSnap.io

Vergiss nicht, abzustimmen.
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Geschrieben von oeding_admin

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