True Pictures? LaToya Ruby Frazier
bis 10. April | Kunstmuseum Wolfsburg
kunstmuseum.de
Mit „True Pictures? LaToya Ruby Frazier“ zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg die erste deutsche Einzelausstellung einer der wichtigsten US-amerikanischen Fotograf:innen der Gegenwart.
Fotografien erzählen Geschichten. Zwischen Selfies und Schnappschüssen vergessen wir jedoch häufig die Kunst, die dahintersteckt. Schließlich kann schon ein einzelnes Foto Fragen aufwerfen, unseren Horizont erweitern, Emotionen auslösen und unseren Blick auf Dinge lenken, die wir vorher noch nie so gesehen haben. Fotografie lädt zum Gespräch ein: Während die Künstler:innen durch Blickführung, Motiv und Bildsprache ihre Geschichte erzählen, tasten die Betrachter:innen das Werk mit ihren Augen ab und blicken auf das Erzählte.
Die Kunst der Bildsprache versteht auch die US-amerikanische Fotografin LaToya Ruby Frazier. Mittels intimer und zeitgleich gesellschaftlicher Dokumentation berichtet die 39-Jährige seit ihrem 16. Lebensjahr unter anderem vom Niedergang ihrer Heimatstadt Braddock in Pennsylvania. Der einst blühende Stahlstandort ist heute nur ein Schatten seiner selbst. Denn durch den Abzug großer Unternehmen herrscht dort schon jahrzehntelange Tristesse. Hohe Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung rufen Armut und gesundheitliche Probleme bei den rund 2 000 Einwohner:innen hervor. Mit ihren Fotografien lenkt LaToya Ruby Frazier den Blick auf diese soziale Ungerechtigkeit und gibt Menschen eine Plattform, die in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung marginalisiert werden und teilweise in prekären Verhältnissen leben müssen. Damit zählt sie derzeit zu den wichtigsten jüngeren Fotografie-Positionen Nordamerikas. Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert mit „True Pictures? LaToya Ruby Frazier“ bis zum 10. April die landesweit erste Einzelausstellung der engagierten und vielfach ausgezeichneten Künstlerin.
Waffe gegen Ungerechtigkeit
Die Inhalte ihrer Arbeiten bettet die Fotografie-Dozentin meist in biografische Kontexte ein: Immer wieder werden Freund:innen und Angehörige zum Gegenstand ihrer Werke, die ausschließlich analog, schwarz-weiß und in der Regel im Mittelformat aufgenommen werden. Dadurch gelingt es ihr, gesellschaftlich relevante Themen mit besonderer Empathie abzubilden. Die Bandbreite ihrer Motive erstreckt sich innerhalb der verschiedenen Serien von intimen Einblicken in ihr Familienleben über Genreszenen bis zu klassisch anmutenden Landschaftsaufnahmen, wäre da nicht das Wissen um die oftmals ökonomischen und ökologischen Desaster, die mit den abgelichteten Gegenden verbunden sind.
Ihr Vorgehen ist eine Symbiose aus Kunst und Aktivismus: gegen soziale Ungerechtigkeit, rassistische Diskriminierung und Umweltverschmutzung. Ihre eindringlichen Fotografien, Videos und Performances werden zum Sprachrohr einer überwiegend unterprivilegierten Arbeiter:innenklasse der USA, die größtenteils Schwarz ist. Dabei heißt es doch, Kunst sei ein Spiegel der Gesellschaft, nur wird diese in ihr leider nicht vollständig abgebildet. In einem Interview beschrieb Frazier ihr Schaffen deshalb wie folgt: „Aktivismus beginnt da, wo Bilder von etwas bis dahin nicht Sichtbarem verfügbar werden.“ Deshalb stellt sie ihre Arbeit in den Dienst politischer Forderungen, stößt Diskurse an und dokumentiert sowie archiviert gesellschaftliche Missstände, die sie teilweise über Monate mit ihrer Kamera begleitet.
Mit der Ausstellung „True Pictures? LaToya Ruby Frazier“ ist das Kunstmuseum Wolfsburg Teil der Kooperation im Rahmen von „True Pictures? Zeitgenössische Fotografie aus Kanada und den USA“ – eine umfangreiche Überblicksschau zur Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts, die vom Sprengel Museum Hannover initiiert und vom Museum für Photographie in Braunschweig und dem Kunstmuseum Wolfsburg mit eigenen Ausstellungen begleitet wird. Während die Museen in Hannover und Braunschweig einen jeweils größeren Überblick geben, widmet sich das Kunstmuseum Wolfsburg alleinig dem Schaffen von LaToya Ruby Frazier mit rund 150 Fotografien sowie ausgewählten Videos. Darüber hinaus veranstaltet das Museumsdreigespann ein gemeinsames Rahmenprogramm aus Vorträgen sowie Kurator:innen- und Künstler:innen-Diskussionen.
LaToya Ruby Frazier erzählt uns Geschichten jener wichtigen Menschen, die ehrenwerte Arbeit verrichten und trotzdem durchs gesamtgesellschaftliche Raster fallen. Zeit, sie wahrzunehmen, denn der Kampf für mehr Gerechtigkeit muss nicht nur in den USA gefochten werden, sondern in allen Teilen der Welt – auch bei uns.
Fotos Marek Kruszewski, LaToya Ruby Frazier