Zuwachs auf dem westlichen Kinomarkt: Filme und Serien aus Asien trenden in den Kino- und Streaming-Charts.
Völlig unverdient und viel zu lange flog der asiatische Film unter dem Mainstream-Kino-Radar der westlichen Welt. Obwohl Hollywood die Drehbücher der Kollegen doch so munter abkupfert, die Besetzung weiß wäscht und dann dafür die Lorbeeren einheimst. Nehmen wir „Ghost in the Shell“, ein beliebter Science-Fiction-Manga von Masamune Shirow, der bereits mehrfach als Anime umgesetzt wurde. Natürlich war der populäre Manga-Klassiker auch gefundenes Fressen für den westlichen Kinomarkt, da spricht im ersten Moment auch nichts dagegen. 2017 wagte sich Regisseur Rupert Sanders an die Umsetzung – in der Hauptrolle Scarlett Johansson als Cyborg Major Motoko Kusanagi, die nun aber zur Vereinfachung Mira Killian heißt. Zu Recht war der Aufschrei groß, als bekannt wurde, dass das Live-Action-Hollywood-Remake einer der erfolgreichsten japanischen Anime-Filme ever nicht mit einer japanischen Schauspielerin in der Hauptrolle besetzt wird.
„Ghost in the Shell“ ist kein Einzelfall: Emma Stone spielt in „Aloha“ eine chinesisch- hawaiianische Figur, Tilda Swinton wird in „Doctor Strange“ als tibetanische Älteste besetzt und Benedict Cumberbatch verkörpert in „Star Treck“ den Bösewicht Khan Noonien Singh. Doch auch in „normalen“ Hollywood-Produktionen sowie in deutschen Filmen sind Japaner, Chinesen, Iraner, Thailänder und viele andere Nationalitäten unterrepräsentiert. Und wenn sie doch auftauchen, dann meist nur in stereotypischer Gestalt.
Diversität und Repräsentation im Film sind jedoch wichtig für die Identifikation und Bildung – auch im Kampf gegen antiasiatischen Rassismus, der beispielsweise im letzten Jahr durch die Corona-Pandemie erneut befeuert wurde. Umso erfreulicher ist es, dass das asiatische Kino vermehrt nach Europa schwappt: „Parasite“ gilt als Emanzipation des südkoreanischen Films und hat bei den Oscars 2020 gleich vier Preise abgeräumt, darunter auch die Auszeichnung für den Besten Film des Jahres.
Das gelang zuvor keiner fremdsprachigen Produktion. Die Anerkennung und der Applaus des gesellschaftskritischen Meisterwerks von Bong Joon-ho sind mehr als gerechtfertigt. „Parasite“ ist ein perfektes Paradebeispiel für südkoreanisches Kino, das nicht vor neuartiger Narrative, progressiver Inszenierung und unkonventionellen Themen zurückschreckt.
Selbstverständlich ist nicht jeder Film aus Fernost leicht zugänglich und auch die Sehgewohnheiten unterscheiden sich zweifelsohne vom westlichen Kino. Doch Meisterwerke wie „Burning“, „Okja“ und „Oldboy“ beweisen, dass der südkoreanische Filmmarkt locker mit den amerikanischen Gatekeepern mithalten kann und ihnen vielleicht sogar überlegen ist. Besonders der Streaming-Riese Netflix zeigt das Potenzial asiatischer Filmschaffender und Schauspieler auf. Zuletzt erklommen die japanische Manga-Adaption „Alice in Borderland“ und die südkoreanische Zombieserie „Kingdom“ die Chart-Spitze der beliebtesten Serien in Deutschland. Und das ist nur ein Bruchteil von dem, was das US-amerikanische Medienunternehmen im Programm hat.
Generell sind der Zuwachs und die steigende Beliebtheit der nicht englisch- oder deutschsprachigen Filme hierzulande erfreulich mit anzusehen. Schließlich erweitern wir durch Kino auch unseren Horizont, kommen mit Kulturen in Berührung, lassen uns inspirieren und überdenken womöglich auch unsere lästigen Vorurteile gegenüber anderer Nationalitäten. Asiatisches Kino ist für mich kein Trend, denn Trends werden irgendwann auch wieder unpopulär. Vielmehr will ich lieber von einem Willkommenheißen sprechen: Eine Bereicherung, die über das unterhaltende Visuelle hinausgeht. Hallo Diversität!
Foto capelight pictures, Koch Films