„Seid radikal nett zueinander“

Die aufstrebende Alternative-Band Chiefland im SUBWAY-Interview

Die Alternative und Emo-Abordnung Chiefland hat sich seit ihrer Gründung 2015 in die Herzen der Szene gespielt. In neuer Besetzung stecken die vier Bandmember – zusammengewürfelt aus Göttingen, Hamburg, Halle und Leipzig – seit der Pandamie viel Fleiß und Herzblut in ein verändertes Soundgewand und frischen Output. Nach dem sehr gut besprochenen Album „Quiet Confidence“ 2022, folgt nun am 8. November die nächste EP „Sentiment Valley“, mit der die vier Jungs auf eine kleine aber feine, fünf Stopps fassende Tour gehen. Und wie der Zufall es so will: Ihr erster Halt ist das Braunschweiger B58 am 22. November. Wir sprachen mit Gitarristen und Gründungsmitglied Achim sowie Sänger Chris über die Arbeit an ihrem neuen Material, über Herausforderungen nach einem Bandbesetzungswechsel sowie ihre Verbindung zu Braunschweig.

 

Bei euch hat sich eine Menge getan seit der Gründung 2015: Personell, im Soundgewand, der Professionalität. Ist die Band Chiefland jetzt „fertig“ gereift?
Achim Auf jeden Fall hat sich viel getan. Im Moment fühlt sich alles sehr gut an, doch ist man als Band ja nie wirklich „fertig“ gereift. Wenn man so will, haben wir uns einfach seit 2015 mehrfach neu erfunden. Teilweise mussten wir das auch schlichtweg. Es kamen viele Ereignisse dazwischen, die unser Leben auf den Kopf gestellt haben – nicht zuletzt die Pandemie. Wir haben die Mitgliederwechsel ins Positive wenden können, unseren Sound neu ausgerichtet und nicht zuletzt als Band viel dazugelernt. Das hat uns an die Stelle gebracht, alles professioneller angehen zu wollen. Damit sind wir gerade mehr als zufrieden.

Früher war der Chiefland-Sound noch viel mehr „klassischer“ Post-Hardcore, Spoken-Word-Parts, insgesamt härter. Spielt ihr noch viele Songs aus der Wildflowers Ära Live? Wenn ja: Wie ist das für dich Christopher, Songs von Corwin zu singen?
Chris Von der „Wildflowers“ spielen wir nur noch den Song „Indian Summer“, weil er sich am besten auf cleanen Gesang anpassen ließ. Du sprichst schon einen wichtigen Punkt an: Wenn die Instrumente wechseln, merkt man das in der Regel kaum. Beim Gesang ist es anders. Der steht im Fokus. Entweder es gefällt oder eben nicht. Was wir von Anfang an vermeiden wollten, war es, Corwins Gesang einfach nur zu kopieren. Es ist ein sauberer Cut, die „Wildflowers“ in ihrer Form bestehen zu lassen. Der cleane Gesang bei „Indian Summer“ ist eine Neuinterpretation, wenn man so will. Diese fühlt sich für mich gut an. Zudem kann ich mich im Textinhalt wiederfinden. Das ist sicherlich auch ein Aspekt bei einem Wechsel am Gesang: Sind die Texte und Songs eventuell zu persönlich, um von einer anderen Person vorgetragen zu werden? Das ist ein Punkt, den man abwägen muss. Letztlich haben wir deshalb auch die meisten Songs von der „Wildflowers“ unberührt gelassen – aus Respekt vor Corwin und vor allem, weil alles andere einfach nicht authentisch wirkt.

Gibt es bestimmte Schwerpunktthemen auf der neuen EP „Sentiment Valley“? Wie lief der Schaffensprozess im Vergleich zu eurem letzten Album „Quiet Confidence“ ab?
Chris Kurz und intensiv, so kann man den Schaffensprozess vielleicht am besten beschreiben. Auf „Quiet Confidence“ haben wir Ideen umgesetzt, die teilweise schon jahrelang im Raum standen und Songs aufgenommen, die instrumental zu 80 % fertig waren. Als damals neues Mitglied habe ich in vielen Fällen „nur“ meine Vocals beigetragen. Das war bei „Sentiment Valley“ definitiv anders. Wir haben von vornherein viel intensiveres Writing betrieben, Ideen lebhaft diskutiert, verworfen, wieder aus der Schublade geholt. Unterm Strich war es ein noch kreativeres Zusammenarbeiten. Inhaltlich greifen wir Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen sowie mentale und größtenteils im Stillen mit sich selbst ausgetragene Kämpfe auf. Der Titel „Sentiment Valley“ ist dabei ganz bewusst gewählt. Was auf den ersten Blick wie eine bloße Naturanspielung scheint, ist für uns eine Art fiktiver Ort, an dem es vollkommen okay ist, jede Emotion zu fühlen und auszudrücken, die man gerade in sich trägt. Dieser Ort existiert irgendwie in uns allen, sieht jedoch je nach Person anders aus. Er ist eine Manifestation von Gefühlen.

Ihr habt mit dem Gitarristen von Four Year Strong Alan Day als Produzent zusammengearbeitet. Wie kommt so ein Kontakt zustande? und wie arbeitet es sich gemeinsam? Macht ihr das Remote, wie darf man sich das vorstellen?
Achim Alan stand schon im Songwriting immer wieder als möglicher Produzent im Raum. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir auf ihn gekommen sind. Wenn ich mich recht entsinne, fiel sein Name in einem Gespräch mit Sören und Tom von den Limetree Studios. Die beiden prägen den Chiefland-Sound maßgeblich mit und haben mit ihrem wunderschönen Studio nahe Hildesheim einen Ort geschaffen, der schon lange unsere Homebase ist. Die Arbeit mit Alan war ziemlich entspannt. In einem der ersten Videocalls hat er uns einfach erstmal zugehört, nach Einflüssen gefragt und nebenbei eine Mandarine gesnackt. Wir haben ihm dann unsere Songs geschickt und er hat in den Projekten gearbeitet, Parts verschoben, gestrichen und neue Ideen eingebracht. Ich erinnere mich noch, als wir eines Morgens eine E-Mail von ihm bekommen haben mit seinen Überarbeitungen. Das war erst einmal total befremdlich, die „neuen“ Songs zu hören. Aber es hat einem auch gezeigt, in welchem „Tunnel“ man selbst steckt. In einem weiteren Videocall hat Alan uns genau erklärt, was er warum und mit welcher Absicht geändert hat. Da gab es einige Aha-Momente. Die Zusammenarbeit hat frischen Wind in unser Writing gebracht und die Songs noch einmal wirklich aufgewertet. Das ist ein Learning, das wir nicht missen wollen.

„Dieser Ort existiert irgendwie in uns allen, sieht jedoch je nach Person anders aus.“

Und wie hat es sich ergeben, dass die Sängerin Christine Goodwyne von Pool Kids aus Florida auf der Single „Bad Move“ gefeaturt ist?
Achim Wir waren letztes Jahr bei der Show von La Dispute in Hamburg. Pool Kids haben Support gespielt. Die Energie der Band hat uns ab dem ersten Takt abgeholt. Uns war klar, dass wir irgendwann einmal mit Christine zusammenarbeiten wollen. Durch die Förderung der Initiative Musik haben wir auf einmal auch finanziell die Freiheit, so etwas zu tun. Sie stand ganz oben auf unserer Liste möglicher Featuregäste, die wir anfragen wollten. Dass es alles geklappt hat und der Kontakt mit ihr ein super angenehmer war, rundet das Ganze schön ab.

Im November kommt ihr mal wieder ins B58. Was verbindet ihr mit Braunschweig allgemein und dem B im Speziellen?
Achim Ich selbst habe für einige Jahre in Braunschweig gewohnt und verbinde mit der Stadt viele tolle Erlebnisse. Im B58 habe ich selbst schon wunderschöne Shows gespielt und sehen dürfen. Jeder Besuch fühlt sich ein Stück weit an, wie nach Hause zu kommen – zumal das Team um Frank so unfassbar freundlich ist. Wir haben dort übrigens auch unsere allererste Show in neuer Besetzung gespielt. Nicht nur deshalb ist das B58 für uns ein besonderer Ort.

Was wollt ihr noch loswerden?
Chris Geht auf Shows, unterstützt die kleinen Clubs in Eurer Stadt, die kleinen Bands und seid nett zueinander. Für die Clubs ist es gerade keine einfache Zeit. Viele sind von Schließungen betroffen. Daran hängen Existenzen. Das alles in einem Klima, in dem Rassisten Mehrheiten bekommen, Kriege ausgetragen werden und Menschen durch unmenschliche Politik ums Leben kommen. Seid radikal nett zueinander, seid füreinander da und fangt Euch auf. Und steht gemeinsam für Menschlichkeit ein.

Foto Kathi Sterl

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Simon Henke

Geschrieben von Simon Henke

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