Was hindert uns in Deutschland an der Unternehmensgründung?
Gründer und Berater Samir J. Roshandel berichtet.
Bei einem Cappuccino in einem abgelegenen Café in Berlin fragte mich vor einigen Jahren ein amerikanischer Entrepreneur, wieso wir Deutschen eigentlich Unternehmertum meiden. Schließlich lande man in Deutschland selbst im Falle des Scheiterns nicht auf der Straße. Mit hochgezogenen Augenbrauen ließ er die Brille über seine Nase rutschen und akzentuierte, dass Armut in Deutschland immerhin bedeute, über eine Krankenversicherung sowie einem Dach über dem Kopf zu verfügen und einen vollen Magen zu haben. In den Staaten hingegen spüre man den harten Asphalt, auf dem man liegt, und den leeren Magen. So Unrecht hatte er nicht mit seiner Aussage, stellte ich fest. Eine sinnvolle Antwort konnte ich damals nicht liefern. Die Frage beschäftigte mich jedoch weiter.
Warum gründen wir eigentlich nicht in Deutschland? An was mangelt es uns? Hat unser Bildungssystem etwas damit zu tun oder ist es einfach nur die deutsche Zögerlichkeit?
Vermutlich beides! An deutschen Schulen und in den Curricula sucht man vergeblich das Fach „Unternehmertum oder Entrepreneurship“. Die Französische Revolution, das Periodensystem und die Berechnung von Tangenten werden hingegen ausführlich behandelt. Obwohl die Schüler:innen weder mit dem DeLorean ins 17. Jahrhundert zurückfahren können, noch verstehen, wozu es gut sein soll, die Tangente einer Kurve berechnen zu können.
Eine Frage, die aktuell sowohl wissenschaftlich als auch in diversen Artikeln diskutiert wird, ist, ob man als Unternehmer:in geboren wird oder Unternehmertum erlernen kann? Wenn ja, wie und mit welchen Inhalten?
Die Angebote an Hochschulen der Bundesrepublik vermitteln die Methoden. Neben den typischen Buchführungskursen sowie Grundlagen des Marketings und Personalmanagements wird fast bei jedem Entrepreneurship-Kurs an deutschen Hochschulen das Business-Model Canvas vermittelt. Es geht um Geschäftsmodelle, Kunden, Einnahmen, Ausgaben und weitere Bausteine. Die Inhalte sollen anschließend in einem Businessplan gebündelt werden. Man würde nun meinen, die zukünftigen Unternehmer:innen werden im deutschen Bildungssystem geformt. Die Gründungszahlen widersprechen jedoch der Entwicklung an Hochschulen. Was sind aber die Zutaten für eine erfolgreiche Unternehmer:innen-Ausbildung? Zugegeben, die Antwort auf die Frage ist nicht einfach. Die Entrepreneurship Education ist sehr vielfältig und die Disziplin steht noch in der Experimentierphase. Bei der Unternehmer:innen-Ausbildung müssen wir in Deutschland mehr die positive Psychologie als Grundlage nehmen. Mit Zukunftsängsten sowie Scheitern umzugehen, sollte eine der primären Grundlagen der Ausbildung sein. Die unternehmerische Freiheit, die Selbstentfaltung und der Mehrwert, den man für die Kunden bringt, sollten im hohen Maß in den Vordergrund gestellt werden. Zudem sollten Schüler:innen sowie Studierenden Selbstvertrauen, Problemorientierung, Kreativität, Neugierde, Durchhaltevermögen, Begeisterung-, Motivations- und Entscheidungsfähigkeit vermittelt werden. Die Kombination aus
bestehender Entrepreneurship Education und der Persönlichkeitsentwicklung bilden das Mindset und die Notwendigkeit der zukünftigen Gründer:innen.
Insgesamt sollte die Aufgabe der Schulen und Hochschulen darin bestehen, mehr Persönlichkeiten auszubilden. Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes Individuum über besondere Stärken und Leidenschaften verfügt. Das Bildungssystem sollte Individuen dabei helfen, ihre Stärken und Leidenschaften herauszufinden, auszubauen und sie zu leben. Die Digitalisierung und der Wandel der Gesellschaft werden zukünftig Jobs hervorbringen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Wir müssen darauf reagieren und flexible, lernfähige, mutige Persönlichkeiten ausbilden, die sich der Herausforderung der Zukunft stellen und flexibel darauf reagieren können. Angebote wie der DigitalSTARTer vom Innovationszentrum Niedersachsen oder die Promotion School von der Allianz für die Region sind geeignete Initiativen, um den Entrepreneurial Mindset in die Schulen zu bringen. Wir müssen solche Initiativen nachhaltig in Schulen verankern und ausbauen.
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