Isabell Schulte – „Part VI“ bis „VIII“
bis 26. November | Junge Kunst e. V. (WOB)
junge-kunst-wolfsburg.de
Der Junge Kunst e. V. Wolfsburg stellt bis zum 26. November die Werke „Part VI“ bis „Part VIII“ der Berliner Künstlerin Isabell Schulte aus und räumt uns damit Zeit für Entschleunigung ein.
Wir vergessen uns im Alltag, verlieren die Zeit aus den Augen, blinzeln einmal und das Jahr ist schon fast vorbei. So schnell kann es in unserer Welt gehen – einmal tief durchatmen und sich bewusst an einen Ort begeben, an dem der Wettlauf gegen die Zeit pausiert. Im Junge Kunst e. V. in Wolfsburg gibt es bereits seit Jahrzehnten Raum für Kunst, in dem man Zeit und Außenwelt vergessen kann. Der Verein stellt jährlich die Werke von drei bis vier aufsteigenden Künstler:innen aus und bietet ihnen somit den Einstieg in und über die regionale Kunstwelt hinaus. Bis zum 26. November gibt es drei Zeichnungen von Isabell Schultes Serie „Part I-VIII“ in der Galerie zu erleben. Die 33-jährige Künstlerin thematisiert mit ihrer momentan achtteiligen Reihe die Komplexität, Schnelllebigkeit und Entschleunigung der Zeit. Ihre Werke entführen Besucher:innen in einen emotionalen Ausnahmezustand, der während des Ausstellungsbesuches ein eigenes Raum-Zeit-Kontinuum eröffnet. Wir haben die Meisterschülerin vor Ort getroffen und mit ihr über ihre Zeichnungen, ihre Arbeitsweise und ihr Zeitverständnis gesprochen.
Isabell, willkommen in Wolfsburg – kennst du dich in der Region schon ein bisschen aus und gibt es hier etwas, das dir gut gefällt?
Danke. Durch mein Jahresstipendium im Künstlerhaus Meinersen kenne ich mich in der Region eigentlich schon ganz gut aus und bin dadurch auch mit dem Junge Kunst e. V. zusammengekommen. Die Landschaft ähnelt meiner Heimat in Schleswig-Holstein sehr, dort gibt es auch viel Flachland und viele Felder, das gefällt mir auf jeden Fall gut. Ich habe mich hier schnell zu Hause gefühlt.
Deine Werke wirken wie eine entspannende Beschäftigungstherapie. Fühlt sich das für dich überhaupt nach Arbeit an?
Es macht mir vor allem sehr viel Freude, trotzdem begleitet mich ab dem Beginn einer neuen Zeichnung auch das Gefühl, sie fertigkriegen zu wollen. Insgesamt versuche ich immer, mindestens zwei Werke im Jahr zu machen. Insofern ist es natürlich auch Arbeit.
Steht hinter deinen Zeichnungen von Anfang an ein Konzept oder lässt du dich beim Zeichnen einfach treiben?
Also in diesem konkreten Fall ist es ja eine Reihe, an der ich arbeite. Angefangen habe ich 2018 mit „Part I“ und ausgestellt sind hier jetzt „Part VI“, „VII“ und „VIII“. Ursprünglich habe ich mit einer Zeichnung angefangen und dann erst während des Prozesses gemerkt, wie viel Spaß mir diese Arbeit bringt. Außerdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt Lust, für einen längeren Zeitraum an einem großen Projekt zu arbeiten. Insgesamt gab es zu Beginn aber kein festgelegtes Konzept, sondern alles ist aus der ersten Zeichnung entstanden. Unter den verschiedenen Zeichnungen gibt es natürlich Variationen, aber grundsätzlich fange ich immer mit einer von mir bezeichneten Grundmelodie an. Diese bestimmten Kombinationen führe ich dann weiter, sodass es die Abschnitte bei jeder Zeichnung immer als allererstes gibt. So funktioniert jeder Part allein und gleichzeitig als Teil der Serie.
Kommt da auch mal der Radierer zum Einsatz?
Tatsächlich gar nicht so oft. (lacht) Wenn ich mich einmal für ein Element entschieden habe, dann verfolge ich diese Eingebung.
Du beschäftigst dich in deinen Werken mit der Zeit. Wie erlebst du Zeit während deines Arbeitsvorganges?
In meinen Zeichnungen habe ich meine eigene Definition von Zeit. Ich sage mir selbst, dass eine Arbeit zwei, drei oder auch vier Monate dauern darf, denn niemand legt mir auf, wie lange es braucht, ein Kunstwerk herzustellen. Das ist auf jeden Fall eine sehr wichtige Erfahrung für mich gewesen: Mir selbst die Zeit zu nehmen, die ich brauche.
Was bedeutet Zeit für dich und wie erlebst du diese Zeiten, in denen wir leben?
Zeit ist etwas sehr Individuelles. Ich habe insgesamt das Gefühl, dass unser Leben – vor allem das digitale Leben – total schnell ist. Fast jeder ist ständig mit dem Internet beschäftigt und dadurch ist alles unfassbar schnelllebig. Wir erleben diese totale Informationsüberflutung und Beschleunigung und dabei sind meine Zeichnungen für mich eine Art Gegenpol und vielleicht auch eine Art der Verarbeitung dieser Reizüberflutung.
„In meinen Zeichnungen habe ich meine eigene Definition von Zeit“
Sind Langsamkeit und Entschleunigung für dich im digitalen Zeitalter eine Art Widerstand, mit dem man der Schnelllebigkeit entgegenwirkt?
In gewisser Weise ja. Vielleicht ergibt sich aktiver Widerstand, indem man beispielsweise ins Museum geht, um sich die Kunst vor Ort anzusehen, weil man wirklich interessiert ist und sich Zeit nehmen möchte. Natürlich kann man sich auch online Kunst angucken, aber es ist oft keine aktive Hingabe. Außerdem ersetzt es nie den Besuch und die Erfahrung in einer Galerie. Es geht um die bewusste Entscheidung: Aufzustehen, loszugehen und sich in diesem besonderen Raum auf einen anderen Zustand einzulassen.
Soll deine Kunst bewusst der Schnelllebigkeit entgegenwirken?
Ich glaube, für die Betrachter:innen wirkt meine Kunst wie eine Mischung: Sie ist nicht nur angenehm, sondern auch Überforderung. Manche sagen, sie wirkt beruhigend und für andere ist sie überfordernd. Sobald man einer Linie folgt, stellt man fest, dass es auch viel ist und realisiert erst, was alles passiert. Diese Gegensätze sind aber auch genau das, was ich selbst beim Arbeiten empfinde. Es ist einerseits diese Überwältigung und andererseits die totale Ruhe. Damit soll sich auch die unkontrollierbare Überforderung in der (digitalen) Welt sowie auf der großen Papierleinwand widerspiegeln.
Heutzutage überfliegt man beim ewigen Scrollen durch den Insta-Feed oftmals die mit Mühe gemachten Werke. Ist das bei analoger Kunst mittlerweile auch so oder besteht Hoffnung?
Auf den sozialen Medien oder im Internet geht man einfach nicht in die Tiefe. Es ist etwas ganz anderes, sich bewusst Zeit zu nehmen, um eine Kunstausstellung zu besuchen. Wenn man direkt vor einem Kunstwerk steht, begreift man, wie viel Zeit es beansprucht hat. Wenn man das gleiche Werk digital sieht, dann wird es einfach reduziert auf ein Bild – das nur noch mit all den anderen Bildern verglichen wird, die in der digitalen Welt so rumschwirren. Der größte Unterschied ist das Erfahrungserlebnis. Nur vor Ort bekommt man ein Gespür für das Material und sieht, wenn man der Zeichnung näherkommt, wie stark die Pappe ist, an welchen Stellen sie gewellt ist oder wo ich Spuren hinterlassen habe, weil ich mich darauf bewegt habe. Auf digitalen Bildern sieht man nur eine Fläche ohne Eigenschaften.
Heutzutage überfliegt man beim ewigen Scrollen durch den Insta-Feed oftmals die mit Mühe gemachten Werke. Ist das bei analoger Kunst mittlerweile auch so oder besteht Hoffnung?
Auf den sozialen Medien oder im Internet geht man einfach nicht in die Tiefe. Es ist etwas ganz anderes, sich bewusst Zeit zu nehmen, um eine Kunstausstellung zu besuchen. Wenn man direkt vor einem Kunstwerk steht, begreift man, wie viel Zeit es beansprucht hat. Wenn man das gleiche Werk digital sieht, dann wird es einfach reduziert auf ein Bild – das nur noch mit all den anderen Bildern verglichen wird, die in der digitalen Welt so rumschwirren. Der größte Unterschied ist das Erfahrungserlebnis. Nur vor Ort bekommt man ein Gespür für das Material und sieht, wenn man der Zeichnung näherkommt, wie stark die Pappe ist, an welchen Stellen sie gewellt ist oder wo ich Spuren hinterlassen habe, weil ich mich darauf bewegt habe. Auf digitalen Bildern sieht man nur eine Fläche ohne Eigenschaften.
Was möchtest du unseren Leser:innen noch sagen?
Natürlich können alle gern hier im Junge Kunst e. V. in Wolfsburg vorbeischauen, um sich die Ausstellung anzuschauen und diese Vor-Ort-Wirkung zu erleben. Dabei können sie als Betrachter:innen gern versuchen, die Erfahrung nachzuempfinden, die ich während der Arbeit gemacht habe. Außerdem freue ich mich sehr darüber, dass gleichzeitig zum Ausstellungsstart eine Publikation über die drei Zeichnungen erschienen ist.
Text Michelle Abdul-Malak
Fotos Eric Tschernow, Michelle Abdul-Malak, Raffaele Horstmann