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Musik(geschichte) zum Anfassen

Das Schallplattenmuseum Braunschweig beheimatet eine der größten Vinylsammlungen Niedersachsens

Es ist ein echter Schatz, der da zwischen Bäckerei und Wohnviertel in Braunschweig-Rautheim versteckt liegt: Wer die Treppe in der Gemeindestraße 4 nach oben steigt, betritt eine nostalgische Welt – Schallplatten soweit das Auge reicht. Mit denen, die zusätzlich im Keller lagern, seien es an die 100.000 Stück, erzählt der Vorsitzende des Schallplattenclubs Rautheim e. V. Uwe Krentel.

Wo sich Fleetwood Mac und die Flippers die Hände reichen
Die Regale des kleinen Museums platzen aus allen Nähten, es ist ein wahrgewordener Traum für Sammler:innen und Musikliebhabende. Vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 2000er hinein finden sie hier alles, was der Markt zu bieten hatte, kein Genre wird ausgeschlossen.
Aber auch Geschichtsinteressierte reißen staunend den Mund auf. Ein Wohnzimmer mit originaler Einrichtung aus den 50er-Jahren wartet auf die Besuchenden, wenn sie die Ecke mit einer beeindruckenden Sammlung von Singles hinter sich lassen, inklusive Blümchengardinen und alten BRAVOs auf dem Sofatisch – alles Spenden. Überhaupt stammt das gesamte Inventar aus Privatbesitzen. Nach Wohnungsauflösungen oder dem Ausmisten des Kellers bringen die Menschen ihre Schallplatten in das Museum. „Sie übertragen ihre Emotion auf uns und wissen, hier sind die Platten gut aufgehoben“, sagt Krentel.

 

 

 

 

Noch einen Raum weiter sind wir plötzlich in den 70er-Jahren gelandet: orange-braun-gemusterte Tapete trifft auf Beistelltisch mit Häkeldeckchen. Überall gibt es liebevolle Details zu entdecken, und in jedem Zimmer stehen – selbstverständlich – Plattenspieler, denn das Museum ist kein gewöhnliches. Hier wird nicht nur geschaut, es soll ausdrücklich mitgemacht werden: Cover bestaunen, LPs aus dem Regal ziehen und auflegen. Geordnet sind die Tonträger lediglich alphabetisch. „Alles andere geht nicht bei der Menge“, erklärt der Vereinsvorsitzende. So kommt es vor, dass es sich die Fischer Chöre neben Ella Fitzgerald gemütlich machen, aber genau darin steckt eben der besondere Charme der Sammlung.

Ein Stück Geschichte
Alles begann 2006 mit ein paar Männern, die sich auf ein Kaltgetränk getroffen und nebenbei Musik aufgelegt haben. Mit der Zeit wuchs nicht nur der Club, sondern auch der Bestand der Platten. 2015 gründete sich schließlich der Verein mit dem Museum.


75 Mitglieder sind inzwischen dabei, im Alter von Anfang 30 bis 85. Sie treffen sich in Rautheim regelmäßig zum Sortieren, Archivieren, Schnacken und natürlich Musikhören. Die „Arbeit“ geht ihnen nicht aus, denn jede Woche kommen neue Kartons mit Ware, und dann ist da auch noch das NDR-Archiv im Keller. Da beim Radio alles digitalisiert wurde, mistete das Funkhaus in Hannover vor zwei Jahren bei sich aus. 20.000 Schallplatten landeten in Braunschweig und füllen nun einen ganzen Kellerraum.
Alles, was es doppelt gibt, sammeln die Vereinsmitglieder separat und veranstalten einmal im Jahr einen Flohmarkt. Für 1,50 Euro können Fans dann so manches Schätzchen mit nach Hause nehmen, ansonsten bleibt alles an seinem Platz.
Ein weiteres Highlight des Museums springt mir direkt beim Betreten der Ausstellungsräume ins Auge: Ein Grammophon aus der Zeit zwischen 1910 und 1915! Allein der Anblick ist unglaublich, spätestens aber als Uwe Krentel eine Schellackplatte aus den 30er-Jahren auflegt, kann ich einfach nicht glauben, dass ich mich gerade im Juni 2024 befinde und mein Smartphone in der Hand halte. Die Vorgänger der Vinylplatte nehmen ebenfalls ein komplettes Regal ein, unter ihnen befindet sich unter anderem Musik der Comedian Harmonists.

Ein Besuch bei Heino und den Beatles
Wer selbst einmal auf musikalische Zeitreise gehen möchte, kann jeden Dienstag zwischen 17.00 und 19.00 Uhr nach vorheriger Anmeldung vorbeikommen. Aber auch individuell lässt sich ein Termin vereinbaren, ob Betriebsausflug oder ein Abend mit Freund:innen – alles geht, alle sind willkommen. Einige ältere Damen hätten sich kürzlich zum Kaffeekränzchen in dem Museum getroffen, berichtet Krentel. Beim Musikhören wurde gelacht, geplaudert und geweint, denn Schallplatten bedeuten immer auch Erinnerungen. Wer dem hektischen Alltagstrubel entkommen und bei guter Musik entschleunigen möchte, sollte unbedingt den sympathischen Verein besuchen.


schallplattenmuseum-braunschweig.de

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Laura Schlottke

Geschrieben von Laura Schlottke

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