Die Genre-Dinos Less Than Jake sind nach sieben Jahren mit neuem Album zurück. Sänger Chris DeMakes im SUBWAY-Interview.
Punk und Ska passen ähnlich gut zusammen wie Cola und Orange oder Pfeffer und Salz. Die Jungs der absoluten Genre-Größe Less Than Jake haben am 11. Dezember ihr neuntes Studioalbum „Silver Linings“ veröffentlicht. Die Urgesteine, die bereits seit 1992 für gute Laune auf den Festivalbühnen dieser Welt sorgen, hatten für letztes Jahr eigentlich auch eine große Deutschland- und Europatour geplant, aber der unrühmliche Verlauf von 2020 hatte natürlich etwas dagegen. Aus dem Home-Office zugeschaltet haben wir uns mit Chris DeMakes, Gitarrist und Sänger der Band, darüber unterhalten, wie es jetzt weitergeht, über Tony Hawk geplaudert und warum Chris keinen Jägermeister mehr trinkt.
Chris, wie nimmst du gerade die Bedrohung der ganzen Veranstaltungs- und Musikwelt durch Corona wahr?
Es ist wirklich die Art und Weise, wie man darauf reagiert. Eine ganze Menge Leute haben gerade eine harte Zeit. Wir als Band haben versucht, so umtriebig wie möglich zu bleiben, haben das neue Album mit einem Release-Livestream am 11. Dezember fertiggemacht. Wir haben vorab drei Songs veröffentlicht, für die jeder aus der Band in seinem eigenen Studios die Spuren separat aufgenommen hat. Erlöse aus diesen Songs haben wir für wohltätige Zwecke gespendet. Wir alle und ich persönlich haben es geschafft, uns das Jahr über beschäftigt zu halten. Es hatte sogar etwas Gutes, nicht auf Tour zu sein, um mich diesen ganzen Projekten widmen zu können.
Aber bist du zuversichtlich, dass in 2021 wieder Konzerte und Tourleben möglich sein werden?
Hey, ich habe wirklich keine Kristallkugel (lacht). Hättest du mich im März 2020 gefragt, hätte ich gedacht, dass wir im Winter 2020 wieder auf Tour sein würden, aber jetzt glaube ich nicht mal, dass irgendeine Band im Jahr 2021 auf Tour sein wird. Das ist nur meine Meinung und das, was ich aus dem Musikindustrieumfeld höre. Das größte Problem wird wahrscheinlich sein, dass Konzertlocations einfach nicht für große Infektionen verantwortlich sein wollen, weil sie rechtliche Konsequenzen fürchten. Aber wahrscheinlich ist Leute anklagen in Deutschland nicht so ein Problem wie in den USA. Amerikaner zeigen dich für alles an. (lacht)
Die aktuelle politische Lage ist in den USA, vor und nach der Präsidentschaftswahl, angespannt und die Bevölkerung wird als sehr gespalten beschrieben. Wird das durch die Abwesenheit von Musik- und Kulturveranstaltungen im Moment noch verstärkt?
Was ich sehe, ist, dass die Medien und vor allem auch die sozialen Netzwerke das Miteinander vergiften. Ich sehe keine verschiedenen Hautfarben, ich sehe keine Nationalitäten. Als Musiker habe ich Freunde überall auf der Welt. Wenn du jetzt aus Deutschland kommst und etwas anders als ich redest oder eine andere Hautfarbe hast, ist mir das vollkommen egal. Wir sind eins. Wir sind Menschen. In der Musiklandschaft erlebe ich diese Lagerbildung nicht. Wenn wir eine Show spielen, sind 99,9 Prozent einfach nur da, um eine gute Zeit zu haben. Da ist kein Platz für Rassismus, Homophobie oder irgendetwas. Klar, die Musik fehlt vielen Leuten.
Am 11. Dezember erschien „Silver Linings“, das neue Album von Less Than Jake. Was sind die Themen und Motive der neuen Platte?
Wir hatten wirklich eine Menge Spaß mit den Songs. Viele Songs referenzieren das Geschehen von dort, wo wir herkommen, in Gainsville, Florida. Ein Song heißt „The High Cost of Low Living“. In dem Song geht es darum, sich die ganze Woche abzuarbeiten, nur um am Wochenende all sein Geld in einer Bar auf den Kopf zu hauen und sich richtig einen reinzuschütten. Dann Montag wieder aufzuwachen und sich zu fragen: Scheiße, was hab‘ ich getan? (lacht) Jeder kann sich in solche Situationen hineinfühlen. Ein anderer Song heißt „Bill“, der vom Drummer der Descendents, Bill Stevenson, handelt. Im Allgemeinen sind die Songs über soziale Beziehungen und Dinge, die wir durchlebt haben in den letzten paar Jahren. Ich denke, textlich ist es ein Album, zu dem viele Menschen relaten können.
Less Than Jake und andere Bands eures Genres hatten ihre größten Erfolge in den späten 90er und frühen 00er Jahren. Ist es belastend, an alten Erfolgen gemessen zu werden?
Nein, es ist doch großartig, dass sich Leute so positiv an uns erinnern! Hätten wir diese Hits in den 90ern nicht gehabt, wären wir jetzt mit Sicherheit nicht mehr hier. Wir haben darauf unsere Karriere aufgebaut. Leute fragen mich: Hey spielt ihr diesen 20 Jahre alten Song? – weil sie 20 Jahre voller Erinnerungen mit diesem Song verbinden. Es ist natürlich klar, dass ein neuer Song diese Emotion niemals wird herstellen können, einfach weil mit ihm keine Erinnerung verknüpft ist. Und ich verstehe das aus einer Fanperspektive. Sollten Leute mich und meine Band daran messen, was wir vor 20 Jahren gemacht haben, bin ich damit absolut cool.
Aber stört es dich aus einer Musikerperspektive?
Ich mache neuerdings einen Podcast, in den ich mir Songwriter anderer Bands einlade. Natürlich wollen die Gäste immer über ihre neuen Songs reden und ich respektiere das auch auf einer Künstlerebene. Aber mir ist absolut klar, dass die Fans die Songs besprochen haben wollen, mit denen sie 20 Jahre voller Erinnerungen verknüpfen. Es stört mich nicht. Außerdem haben wir einige Superfans, die einfach alles, was wir rausbringen, abfeiern. Ich könnte in ein Mikrofon furzen und sie würden es super finden (lacht).
Ska-Punk lebt von seiner positiven Grundstimmung. Brauchen wir mehr dieser „good vibes“ in schweren Zeiten?
Ich glaube, jede Musik ist auf ihre Art aufheiternd. Leute gehen zu Death Metal Konzerten und gehen mit einem großen Lächeln nach Hause. Musik ist Musik. Entscheidend ist, dass sie dich bewegt und in dir bestimmte Gefühle auslöst. Ich kenne Leute, die gehen normalerweise zu vier bis fünf Konzerten in der Woche. Musik ist deren Leben. Wenn ihnen das gerade einfach genommen wird, ist das sehr schwierig. Und auch für mich als Performer. Seitdem ich 18 bin, hat es nie eine Phase gegeben, in der ich länger als zwei Monate keine Show gespielt habe. Es ist seltsam. Und klar, ich will auch wieder spielen.
Du bist seit 30 Jahren Musiker. Was hat sich über die Jahre verändert?
So viel sich auch verändert hat, gibt es ebenso viel, dass nach wie vor unverändert ist. Geh auf die Bühne, stöpsle deine Gitarre ein, dreh dich zum Publikum und sag: Hallo, wir sind Less Than Jake. Das ist nach wie vor dasselbe Gefühl wie vor dreißig Jahren. Alles drumherum lässt sich einfach herunterbrechen auf den Fortschritt der Technik. Heute verbreitet man Informationen anders, bewirbt seine Band anders. Früher gab es kein Social Media. Ich erinnere mich, wie wir auf unserer ersten Tourneen in Deutschland noch an Tankstellen irgendwelche Straßenkarten kaufen mussten, um uns zurechtzufinden. Karten in deutscher Sprache! Das hat sich eben alles verändert. Aber das eigentliche Musiker-Dasein hat sich eben nicht verändert. Geh ins Studio, nimm deine Songs auf und dann spiel Konzerte. Das ist das gleiche Gefühl wie 1992.
Wie bewertest du neue Trends, zum Beispiel in den sozialen Medien?
Ich glaube man darf sich einfach nicht verweigern. Nehmen wir mal als Beispiel eine App wie TikTok. Klar könnte man sagen, dass man einfach zu alt für so einen Scheiß ist. Ich habe kein TikTok, aber wenn ich feststellen würde, dass es meiner Karriere und Less Than Jake helfen würde, würde ich es in Betracht ziehen, klar. Du musst mit der Zeit gehen. Wenn wir diese Band immer noch so betreiben würden, als sei es 1995, könnten wir nicht mehr erfolgreich sein.
Less Than Jake hatte bereits früher und nun auch wieder auf dem neuesten Spiel der „Tony Hawk’s“-Skateboarding-Videospiel-Serie einen Song im Soundtrack. Hilft sowas, um neue Hörer zu gewinnen?
Klar, sowas ist ein Weg, um junge Leute zu erreichen. Es ist witzig, weil einem klar wird, dass unsere Musik nur für Leute betagt klingt, die wissen, wie lange wir schon unterwegs sind. Für Kids, die uns heute in einem Videospiel hören, ist es frische Musik, neuer Input – egal, ob wir den Song vielleicht vor zwanzig Jahren rausgebracht haben. Es gab den Moment, dass die dann nach einem Konzert zu uns an den Merch-Stand kamen und realisierten, dass wir ganz schön alt aussehen, weil sie erwartet hatten, dass wir eine neue Band seien. Und ich sage denen dann: Ja, für dich sind wir eine brandneue Band! Und ohne so ein Videospiel hätte man einige dieser Hörer sicher nie für sich gewonnen. Das ist doch fantastisch.
Ihr habt schon sehr oft in Deutschland gespielt. Wie ist eure Verbindung zu Deutschland?
Wir haben mehr in Deutschland gespielt als irgendwo anders in Europa, einfach weil es bei euch so viele Orte gibt, an denen man spielen kann. So viele Städte! Bevor wir angefangen haben, auch durch Deutschland zu touren, habe ich oft gehört, Deutsche wären steif und humorlos. Und ich muss sagen, dass ich das komplette Gegenteil bezeugen kann, vor allem, wenn ihr erst mal anfangt zu trinken. (lacht) Ich liebe Deutschland und das sage ich nicht nur so. Es ist mein Lieblingsort beim Touren durch Europa. Ich werde immer sehr höflich und gut behandelt in Deutschland und ich liebe das Essen! Meine Großmutter ist Deutsche und ich bin mit einigen Essgewohnheiten aufgewachsen, die wir Amerikaner sonst nicht haben. Sie hatte immer Salami und Schinken als Aufschnitt zum Frühstück. Das ist nicht üblich bei uns. Als ich dann zum ersten Mal in Deutschland war, habe ich mich zurückversetzt gefühlt ins Haus meiner Großmutter. Da habe ich erst gecheckt, dass es an ihrer deutschen Herkunft lag. Ich fand das ziemlich cool. Hast du mal gesehen, wie fett Amerikaner sind? Hier besteht das Frühstück aus einem Haufen Müll! (lacht)
Und ich habe gehört, irgendetwas verbindet euch mit Jägermeister…?
Jaaa, Jägermeister hat uns eine Zeit lang gesponsort. Wir haben wirklich eine Menge davon getrunken, aber jetzt nicht mehr. Ich habe es sein lassen, weil ich davon irgendwann echt Bauchprobleme bekam! (lacht)
Danke für das Interview, Chris!
Hat mich gefreut, hoffentlich sehen wir uns bald auf Tour!
Fotos Less Than Jake