Gothic-Rock mit Graf Grusel

Schock-Rocker Alice Cooper geht mit den Hollywood Vampires auf Tour, einer Gruppe um Cooper, Aerosmith-Gitarrist Joe Perry und Filmstar Johnny Depp.
– Olaf Neumann sprach mit ihm.

Eigentlich müsste er längst unter der Erde liegen — in einer Reihe mit seinen Freunden Jimi Hendrix, Jim Morrison, John Lennon, Keith Moon, Marc Bolan und Harry Nilsson aus dem Trinkerclub der 1970er, genannt The Hollywood Vampires. Der junge Alice Cooper lässt kein Rockklischee aus, verwüstet Hotelzimmer und scheint es darauf anzulegen, möglichst bald an irgendeiner Droge zu sterben. Doch der Pate des Gothic-Rock überlebt. Das einzige, was der Sänger im Rückblick auf seine außergewöhnlich lange Karriere bereut, ist seine Blackout-Phase. Der Alkohol habe all seine Erinnerungen an die Zeit zwischen 1978 und 1982 gelöscht. Gern würde er die Alben dieser Periode noch einmal schreiben, aufnehmen und live spielen.

 

In einer Zeit der Orientierungslosigkeit heiratet Cooper die Choreographin Sheryl Goddard, bekommt mit ihr drei Kinder und findet schließlich zu Gott. Der gibt ihm Kraft und Halt. Seit den 1990ern ist dem Priestersohn sein Glaube mindestens so heilig wie seine Musik: „Gott ist mein ewiger spiritueller Begleiter, Rock’n’Roll ist mein Job. Ein Mensch erreicht irgendwann den Punkt, an dem er sich für einen bestimmten Glauben entscheiden muss.“, erklärt Cooper.
Der nüchterne Alice Cooper wird vor allem durch seinen Auftritt in der amerikanischen Kinokomödie „Wayne‘s World“ (1992) zur Kultfigur einer neuen Generation von Rockfans und Rockmusikern. Und Marilyn Manson soll den Titel seines Albums „Antichrist Superstar“ direkt an ihn angelehnt haben.

„Wir besitzen das Recht, über tote Freunde zu schreiben.“

Als Cooper (75) vor sechs Jahren mit Joe Perry (73) von Aerosmith und Johnny Depp (59) die Hollywood Vampires gründet, entstehen Songs über Leute wie Jim Morrison, Janis Joplin oder Jimi Hendrix, die am exzessiven Konsum von Drogen und Alkohol mit nur 27 Jahren gestorben sind. Jedoch betont er, dass alle Personen, die die Debütplatte „Rise“ aufgenommen haben, stocknüchtern waren. „Weil Johnny, Joe und ich die Exzesse hinter uns haben, besitzen wir das Recht und die Autorität, über tote Freunde zu schreiben. Wir, die Überlebenden, salutieren ihnen hiermit“.
Der Bandname ist entliehen von einem exklusiven Loft in der legendären Rainbow Bar and Grill in Hollywood. Dort haben Ringo Starr, John Belushi, John Lennon, Keith Moon, Keith Emerson, Harry Nilsson und Marc Bolan einst nächtliche Trinkgelage abseits der Medien und Manager abgehalten, mit zum Teil fatalen Folgen. Das Personal des Rainbow nannte die durstige Truppe scherzhaft die Hollywood Vampires. Die gleichnamige Band bietet nun eine dunkle, hardrockige Grundlage für Alice Cooper, um seinen „toten, betrunkenen Freunden“ Tribut zu zollen, wie er es nennt, mit ihren Songs und mit Eigenkompositionen – und das alles mit dem für Cooper typischen vaudevillischen Elan. Nachzuhören auf ihrem ersten Konzertalbum „Live in Rio“.

Der wegen Anschuldigungen von ehelicher Gewalt durch seine Ex Amber Heard umstrittene Johnny Depp gilt in den USA derweil als unbesetzbar, vielleicht wünscht er sich ja deshalb eher ein Leben als Rockstar. Bei den Hollywood Vampires darf der Freizeitgitarrist sich zumindest fühlen wie einer – zum Beispiel, wenn er mit seinen Promi-Freunden auf Tour geht und sich dafür mit schweren Ketten behängt. Bereits in den frühen 1990ern spielte er auf eigenwillige Weise Gitarre bei der grungigen US-Truppe ‚P‘ – neben Flea von den Red Hot Chili Peppers, Steve Jones von den Sex Pistols und Gibby Haynes von den Butthole Surfers. Depp trat zudem mit allen möglichen Kumpels auf, von Marilyn Manson bis Shane MacGowan und bediente die Slide-Gitarre auf dem Oasis Song „Fade In-Out“ auf dem Erfolgsalbum „Be Here Now“. „Für jemanden wie mich, der als Kind mit dieser Art von Musik aufgewachsen ist, war es unvorstellbar, dass mir so etwas wie die Hollywood Vampires jemals passieren würde“, gesteht Johnny Depp.

Auf ihrem Live-Album befinden sich zwar fast ausschließlich Fremdkompositionen von Jimi Hendrix bis Led Zeppelin, aber die vitalen „Vampire“ verstehen es, auch ansehnliche eigene Stücke zu schreiben, wobei Depp viele Einträge aus seinen Tagebüchern in die Lyrics mit einfließen lässt. „Johnny Depp ist einfach ein guter Schreiber“, flötet Alice. „Er war bereits Musiker, bevor er Schauspieler wurde. Er schreibt und spielt die ganze Zeit und spuckt ständig neue Ideen aus. Als wir uns zu den Hollywood Vampires zusammenschlossen, schmissen wir auch unsere Ideen zusammen. Ich mag die freie Form unserer Texte, die sich nicht notwendigerweise an Reimschemata orientieren. Das ist für mich sehr erfrischend, weil ich eigentlich ganz anders schreibe.“
Wenn Johnny Depp auf der Konzertbühne den Jack Sparrow gibt und als Höhepunkt „Heroes“ singen darf, fangen die in der Regel zahlreich anwesenden Damen an zu kreischen. Seine Interpretation von David Bowies Kult-Song kommt eher dezent daher, obwohl wahrscheinlich niemand Bowies Performance bei diesem Klassiker gerecht werden kann. „In dem Studio zu arbeiten, in dem Bowie damals ‚Heroes’ eingespielt hat, in diesem riesigen Raum, war einfach eine unglaubliche Erfahrung“, schwärmt Depp von der Session in den Berliner Hansa Studios. „Ich hatte anfangs überhaupt keine Ahnung von den Noten, die Bowie da spielt. Es ist wie mit allem, von dem man nicht weiß, ob man es kann, bis man es versucht.“

„Ich liebe es zu arbeiten.“

Der blutleer geschminkte Bühnenberserker Alice Cooper mit dem schwarzen Lidstrich scheint gerade erst der Grabkammer entstiegen, aber gemeinsam mit dem spinnenhaften Perry und dem coolen Depp feiert er nicht den Tod, sondern die Wiedergeburt des Rock’n’Roll. Momentan arbeitet der umtriebige Sänger an zwei verschiedenen Soloalben. Sein legendärer Wegbegleiter Bob Ezrin (Aerosmith, Kiss, Pink Floyd, Deep Purple) ist wieder als Produzent dabei. „Dies ist das Ergebnis der Covid-Sache“, so Cooper. „18 Monate lang konnten wir nichts tun. Wir durften nicht touren. Was soll ein Musiker also tun? Er schreibt Songs. Auf diese Weise ist Material für zwei neue Platten entstanden, die völlig unterschiedlich sind. Ich liebe es zu arbeiten“. 

Foto earMUSIC/Ross Halfin

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Olaf Neumann

Geschrieben von Olaf Neumann

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