Engelsgleich

Nach ihrer spektakulären Comeback-Show in der Wuhlheide feiern die No Angels ihr 20. Bandjubiläum am 24. September auch in Hannover.

Die No Angels haben eine Generation geprägt wie kaum eine andere deutsche Popband – Tokio Hotel einmal außen vor gelassen. Als erste deutsche Castingband schrieb die damals noch fünfköpfige Girlgroup eine unglaubliche Erfolgsgeschichte samt Nummer-1-Alben und unzähligen Top-Ten-Hits. Ikonische Musikvideos, etwa zu ihrer Debütsingle „Daylight in your Eyes“ oder dem Folgesong „Rivers of Joy“, prägten den Stil einer ganzen Ära; riesige Creolen, fransige Jeanstops oder Schlaghosen im Metallic-Look beherrschten den Kleiderschrank vieler Teenies. Nach wie vor gelten die Engel als Trendsetterinnen und Stilikonen, als Vorbilder für junge Frauen und Künstler:innen. Kein Wunder, denn Sandy, Lucy, Nadja, Jess und bis 2003 auch Vany unterbreiteten ihrer Hörer:innenschaft ein sagenhaftes Identifikationsangebot und lebten Diversität schon lange bevor es von anderen als Marketing-Konzept adaptiert wurde. Wild von der ersten „Popstars“-Jury zusammengewürfelt, könnten sie unterschiedlicher nicht sein und doch bilden die Engel eine unvergleichliche Einheit. Tatsächlich ist ihnen nach ihrem Casting-Sieg, großen Erfolgen, emotionalen Trennungen, Wiedervereinigungen und Misserfolgen nun ein spektakuläres Comeback gelungen – umwerfende Outfits, fantastische Choreos und unvergessene Songs bringen die Vier dieses Jahr für ihre „Celebration“-Tour auf die Bühne – am 24. September auch nach Hannover. Wir haben Jess, Nadja und Sandy vorab für ein himmlisches Interview getroffen und über Zusammenhalt, ewige Jugend und Diversity gesprochen.

 

Endlich steht eure große Jubiläumstour an. Wie geht es euch so kurz davor?
Nadja Die Aufregung und Vorfreude steigt! Am meisten freut mich diese unglaubliche Liebe und Resonanz von unseren Fans. Das ist nach so einer langen Zeit nicht selbstverständlich und macht mich sehr glücklich.
Sandy Wir freuen uns wahnsinnig, mit unseren Fans zu feiern. Unsere Community ist die Beste – einfach jeder ist willkommen und wird mit offenen Armen empfangen.

Wie laufen die Vorbereitungen auf die Show?
Sandy Wir hatten vor der Wuhlheide eine intensive, schöne, anstrengende Probenzeit mit unserem Creative Team – der „Army of Love“ – und dann auch mit der ganzen Produktionscrew inklusive Band, Licht und Sound. Wir haben zum Glück tolle Menschen an unserer Seite, die uns glänzen lassen möchten.
Jess Ein paar Tage vor Tourstart kommen wir wieder zusammen und frischen alles auf.

Was ist heute auf der Bühne die größte Herausforderung für euch? Sitzen die Choreografien von damals noch?
Jess Es gibt vieles, an das man auf der Bühne denken muss − von Choreos bis Harmonien ist alles dabei.
Nadja Die größte Herausforderung ist die mangelnde Routine. Früher waren wir ständig unterwegs und am Performen, da waren die Choreografien wie automatisiert. Erstaunlicherweise kamen die alten Choreos aber sehr schnell wieder, der Körper hat die Bewegungen abgespeichert.
Sandy Etwas verstaubt, aber noch da. Wir haben sie wieder auf Hochglanz poliert. Das hat gut geklappt. Aber es sind auch neue Choreos dazugekommen. Es gibt also die Klassiker, aber auch ein paar Überraschungen!

Ihr feiert nun 20 Jahre No Angels. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Nadja Es hat sich so viel verändert − von Social Media bis zu TV-Formaten. Früher gab es noch viele TV-Sender und Formate, in denen man seine Musik zeigen konnte. Das hat sich doch drastisch reduziert und ist für uns alle eine große Umstellung.
Sandy Ich glaube, dass wir dem Business gegenüber inzwischen gelassener sind und einfach wissen, wie der Hase läuft. Was die Auftritte angeht, sind wir nach wie vor freudig aufgeregt und das gehört auch dazu.
Jess Wir sind reicher an Erfahrungen. Ob das jetzt gelassener macht? Hmm … Wenn man mit Herzblut dabei ist, macht man sich immer Gedanken. Nicht unbedingt um Schlagzeilen oder Ähnliches, aber man möchte, dass alles funktioniert und sucht immer nach Möglichkeiten, Dinge zu verbessern. Dennoch wissen wir heutzutage, wo wir stehen. Wir müssen nichts mehr beweisen und das schmälert sämtlichen Druck.

Wie fühlt es sich an, die Songs von damals wieder aufleben zu lassen?
Nadja Es ist ein überwältigendes Gefühl. Dies ist ein so großer Teil unseres Lebens, der dadurch wieder auflebt. Es gibt keinen Song, den ich ausschließen würde. Sie gehören alle dazu und sind mit Erinnerungen und Gefühlen aufgeladen.

Was würdet ihr eurem früheren No-Angels-Ich heute mit auf den Weg geben?
Sandy Generell würde ich mir raten, nicht so hart mit mir selbst zu sein. Ich bin mein größter Kritiker, auch heute noch. Aber inzwischen nehme ich mir viele Dinge nicht mehr allzu sehr zu herzen. Ich würde mir sagen: Mach einfach weiter so, du bist stark, du bist mutig, du hast das Herz am rechten Fleck. Folge ihm, hab keine Angst und probier dich aus. Sei du selbst.
Jess Stress dich nicht so und zweifel nicht so sehr an dir!
Nadja Du bist toll so wie du bist! Sorge dich nicht, sondern vertraue, genieß die Zeit, hör auf zu planen und lebe im Hier und Jetzt.

Was hat euch dazu motiviert, nach so vielen Jahren noch einmal zusammenzukommen – der Spaß an der Sache oder spielt auch das gegenwärtige 2000er-Revival eine Rolle?
Jess Ausschlaggebend war unser Jubiläum. Als dann 2020 unsere Songs zum ersten Mal zu streamen waren und wir eine Welle der Euphorie und Liebe abbekommen haben, haben wir gedacht: Let‘s do it!
Sandy Es war einfach der richtige Zeitpunkt und von den Fans so sehr erhofft. Wir sind so dankbar für diese Zeit. Nach 20 Jahren haben wir uns einfach dazu bereit gefühlt, nochmal zusammenzukommen und diese Zeit für uns alle unvergesslich zu machen.

Euer Geheimrezept für ewige Jugend?
Nadja Ich möchte nicht ewig jugendlich sein, ich finde es schön zu reifen und fühle mich immer besser. Die „Jugend“ kommt vor allen Dingen von innen – gute Beziehungen zu Menschen, Lachen, gute Ernährung, Schlaf, Sport. Das alles hilft einem, sich wohlzufühlen. Die Einstellung zum Leben ist der Gamechanger! Ich arbeite stets an meiner Dankbarkeit und konzentriere mich auf die positiven Dinge im Leben.
Sandy Mit offenen Armen, Augen und Herzen durch die Welt zu gehen. Und im Herzen immer jung zu bleiben. Das strahlt nämlich nach außen.

2007 habt ihr schon einmal ein Comeback gestartet – damals schlug die Reunion nicht so ein wie heute. Was meint ihr, warum?
Nadja Es ist schwierig zu sagen, warum es damals nicht so erfolgreich war wie heute, da kommen immer viele Punkte zusammen. Ich kann mir vorstellen, dass nach so einer langen Zeit niemand damit gerechnet hat, dass wir nochmal zurückkommen – inklusive mir! Außerdem sind viele Menschen mit unserer Musik groß geworden und verbinden mit uns ihre Kindheit und Jugend. Das löst natürlich viele Gefühle aus.
Sandy Ich glaube, dass nach so langer Zeit die Sehnsucht nach dem Gefühl, das wir damals versprüht und verbreitet haben, einfach enorm gewachsen ist. Und dafür muss man sich auch mal zurückziehen, vor allem nach einigen Stolpersteinen. Gerade nach dieser schweren Zeit der Pandemie wünscht man sich doch nichts mehr herbei als die Zeiten, die einen am meisten geprägt haben. Und da wir viele Menschen gerade in der Jugend sehr geprägt haben, ist es jetzt umso schöner, diese Zeit nochmal aufleben zu lassen.
Jess Damals war irgendwie der Wurm drin. Dennoch bin ich froh, dass wir es gemacht haben.

„Gegensätze ziehen sich an“ – ist das der Schlüssel für so einen tollen Bandzusammenhalt?
Nadja Ja, ich denke wirklich, dass gerade unsere bunte Mischung ein großer Faktor unseres Erfolgs ist. Das gibt viel Raum für Identifikation. Natürlich liegt es aber auch daran, dass wir etwas machen, das keiner macht. Wir tanzen, wir singen, wir legen Wert auf unsere Looks, wir öffnen uns, wir arbeiten hart und wir halten immer zusammen.
Sandy Aber vor allem sind es Liebe, Offenheit und Vertrauen, die hierfür immens wichtig sind.
Jess Toleranz, Akzeptanz und Wertschätzung sind die Zutaten für gute Beziehungen.

Welches legendäre Fashion-Piece von damals hängt heute noch in eurem Kleiderschrank und wartet auf seinen Einsatz?
Sandy Gar keins! (lacht)
Nadja Ich habe auch nichts mehr von früher. Ich bin eher der minimalistische Typ und miste regelmäßig aus. Natürlich habe ich aber die Preise, goldenen Platten und Fotoalben aufgehoben.
Jess Ich habe noch einige Teile von früher! Von unserem ersten The Dome-Auftritt habe ich noch das ganze Outfit!

Wie schafft ihr es damals wie heute, prägende Stilikonen sowohl für die junge als auch für die ältere Generation zu sein?
Sandy Wow, sind wir das? Das kann ich gar nicht beantworten. Wir sind einfach wir selbst. Schön, wenn es so wahrgenommen wird.
Nadja Ich denke, gerade heute als gereifte Frauen ist Authentizität anziehend. Wir stehen zu uns. Wir haben uns alle entwickelt und an uns gearbeitet. An unseren Einstellungen, der Umgang mit Ups und Downs. Wir sind gefallen und immer wieder aufgestanden. Das ist das, womit sich unsere Fans identifizieren. Und das ist das, was uns strahlen lässt und sexy macht.

„Unsere Unterschiede machen uns erst interessant und das Leben so viel schöner“

Wie wichtig ist es euch, eure Reichweite auch für soziales Engagement und politische Messages zu nutzen?
Sandy Das ist uns allen sehr wichtig. Uns beschäftigen viele Dinge. Wenn man da zur Aufklärung beitragen und zum Nachdenken anregen kann, dann ist das doch super.
Nadja Wir haben uns immer engagiert und machen das immer noch als Band, aber auch als Individuen. Jede von uns steht für Themen ein und das ist uns sehr wichtig.

Eure Fan-Community umfasst alle Altersklassen, ihr werden von der LGBTQIA*-Community gefeiert, leistet Aufklärungsarbeit gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV und seid selbst innerhalb der Band sehr divers aufgestellt. Wart ihr eurer Zeit in den 2000ern schon ein ganzes Stück voraus? Und wie beurteilt hier heutzutage das Thema „Diversity“ als Marketingstrategie?
Nadja Wenn ich mal 20 Jahre zurückdenke, gab es teilweise eine buntere Medienlandschaft als heute. Das hing auch stark mit den Musiksendern MTV und Viva zusammen. Unsere Band war divers und das war etwas Neues für Deutschland. Ich bin so glücklich, wenn ich heute höre, dass sich viele Menschen mit uns identifizieren konnten. Früher war mir das nicht bewusst, da gab es dieses Thema „Diversität“ nicht. Wir sind einfach, wer wir sind, und durch unsere Persönlichkeiten und Biografien haben wir diese Themen verkörpert. Ich denke, es ist sehr wichtig, die Themen Identität, Diskriminierung, Rassismus, Stigmatisierung und Gleichstellung anzusprechen und bin sehr froh, dass die junge Generation da sehr aktiv ist.
Sandy Für uns war Diversität immer schon sehr wichtig. Und uns war auch schon immer klar, dass wir uns gegenseitig nur bereichern können. Und dafür haben wir schon immer Zeichen gesetzt und uns eingesetzt. Unsere Unterschiede machen uns doch erst interessant und machen das Leben so viel schöner. Jeder hat seine Geschichte und wenn man bereit ist, zuzuhören und hinzusehen, ist das die größte Bereicherung im Leben. Wir können so viel voneinander lernen, miteinander wachsen. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Das geht nur mit Liebe und Toleranz. Und dafür standen wir schon immer.
Jess Rückblickend waren wir unserer Zeit voraus. Doch unbewusst. Damals waren diese Themen noch nicht so laut wie heute. Ich bin sehr froh, dass sich damals wie heute viele Menschen mit uns identifizieren konnten. Sie haben bei uns sowas wie ein Zuhause gefunden. Das wurde uns aber erst jetzt so richtig klar. Dank Social Media bekommen wir viel mehr Geschichten mit als damals.

Zu guter Letzt: Wird Carolin Kebekus irgendwann offiziell fünfter Engel und wie geht es nach der „Celebration“-Tour weiter?
Sandy Carolin ist ganz allein einfach eine großartige Entertainerin. Es macht unheimlich Spaß, mit ihr zu arbeiten. Aber einen fünften Engel gibt es ja schon, wenn auch nicht mehr aktiv dabei. Ersetzen wollen wir sie aber nicht. Wie‘s nach der Tour weitergeht, wissen wir noch gar nicht. Das werden wir sehen.
Jess Carolin ist bei uns immer als Gast-Engel willkommen! Im Moment ist der Plan, dass wir mit der Tour die No Angels-Reise beenden. Aber wie so oft ist bei uns vieles im Endeffekt anders gekommen, als es geplant wurde.
Nadja Alles kommt irgendwie, wie es kommen soll. Sag niemals nie!

Termin
24. September | Swiss Life Hall (H)
noangels.netnoangels.net

 

Fotos Ben Wolf

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Louisa Ferch

Geschrieben von Louisa Ferch

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