„Ich habe alles außer Kontrolle“: Sascha Reimann aka Ferris MC lässt sein Achterbahn-Leben zusammen mit seiner Frau Helena Anna Reimann in seiner Autobiografie Revue passieren.
Unkraut vergeht nicht. Totgesagte leben länger. Sätze wie diese fallen einem ein, wenn es um Ferris MC geht. In den 90ern war er einer der ersten deutschen Rapstars, später war er zehn Jahre lang mit der Krawall-Pop-Performance-Band Deichkind auf Tour. Immer wieder hat er sich neu erfunden, war als DJ unterwegs und stand für Film und Fernsehen vor der Kamera. Nicht alles, was er geschaffen hat, wurde dabei bejubelt – teilweise musste Ferris harte Kritik wegstecken. Trotzdem macht er weiter und hat damit Erfolg. Musikalisch fühlt sich Ferris mittlerweile heimisch im Crossover-Punk und gehört zu Label und Crew „Missglückte Welt“ des Rappers Swiss. Auf dem neuen Album wird dementsprechend mal reflektierend, mal ironisch das Leben und das Außenseitertum gefeiert.
Jetzt veröffentlicht er nicht nur sein zehntes Solo-Album mit dem Titel „Alle hassen Ferris“, sondern mit „Ich habe alles außer Kontrolle“ auch ein Buch über sein Leben. Darin schaut der heute 48-Jährige zurück auf ein bewegtes Leben zwischen Höhenflügen und Abstürzen, Rausch und Sucht. An seiner Seite ist seit vielen Jahren seine Frau Helena Anna, die am Buch mitgeschrieben hat. Die anekdotische Erzählung geht dabei durch Tragik und Komik – so dramatisch, wie das Leben nun einmal spielt.
Neben seiner Tätigkeit als Musiker und Autor ist Sascha Reimann Schauspieler und Familienvater. Sein Privatleben ist ruhiger, vielleicht sogar erwachsener geworden, aber ein Abschied aus der Öffentlichkeit ist scheinbar nicht in Sicht. Er habe sich endlich selbst gefunden, sei angekommen, sagt er. Aber genau deshalb geht es jetzt auch erst richtig los. Grund genug, um über Kunst und Identität zu plaudern. Ich rufe Ferris an einem Donnerstagmorgen um 11 Uhr an.
Ferris – wo bist du gerade und wie gehts dir?
Mir gehts gut, ich bin in meinem Keller.
Was machst du im Keller?
Das ist mein Arbeitsplatz, ich mache hier Musik und lerne Texte für Rollen auswendig und so etwas. Wenn die Familie am Schlafen ist, ist der Keller gut.
Marteria rappt auf dem Song „Tyrannosaurus-Rap“ von 2007: „Komm, machs wie Ferris, einfach ohne Tschüss zu sagen aus dem Biz“ – jetzt hast du aber in den letzten 15 Jahren wirklich viele verschiedene Sachen gemacht und bist überhaupt nicht weg …
Ja, so eine gemeine Unterstellung! Marteria kenne ich natürlich und mit Marsimoto haben wir „Crash dein Sound“ aufgenommen, als ich frisch bei Deichkind war. Diese Zeile kannte ich allerdings nicht. Aber es stimmt schon, zu der Zeit hatte ich mich aus dem Deutschrap-Geschäft zurückgezogen und war als Elektro-DJ auf Tour. Da konnte ich ein bisschen anonymer bleiben und stand nicht mehr so im Fokus der Öffentlichkeit.
Und trotzdem suchst du ja immer wieder die Öffentlichkeit. Rapper, Sänger, DJ, Schauspieler und jetzt Buchautor. Schüttelst du das cool und routiniert aus dem Ärmel oder ist es doch immer wieder etwas völlig Neues?
Es ist natürlich aufregend, genau wie bei jedem neuen Album. Ich bin immer gespannt, auch weil ich teilweise nicht so genau weiß, wie gerade mein Standing da draußen ist. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin komplett weg vom Fenster und kann machen, was ich will, weil es eh keinen interessiert. Dann kommt aber auch immer wieder der Aufschwung und ich merke, dass ich es doch schaffe, Leute zu berühren und auch neues Interesse zu wecken. Aus dem Ärmel schüttele ich gar nichts. Es ist immer alles mit viel Zeit, Energie und Herz verbunden. Viele Rap-Alben werden heute ja quasi in 15 Minuten eingerappt und den Rest macht dann der Tontechniker mit Autotune und so. Von so einer Arbeitsweise bin ich ganz weit entfernt.
Du lässt wohl kein gutes Haar am deutschen Rap, oder?
Ach, ich hege jetzt keinen Groll gegen Deutschrap. Ich beschäftige mich auch mittlerweile nicht mehr so viel damit, als dass es mich nerven könnte. Aber wenn es in einem Gespräch darauf kommt, habe ich vielleicht mehr Negatives als Positives dazu zu sagen. Ich versuche mich aber auch davon fernzuhalten, immer nur negativ über etwas zu sprechen. (lacht)
Was nimmt denn bei dir gerade mehr Raum ein – Buch oder Album?
Gute Frage. Für mich hat alles den gleichen Stellenwert. Es kommen auch noch Auftritte dazu, für die geprobt werden muss. Aber es hat nicht das eine mehr Gewicht als das andere, nur dass das Buch eben jetzt zuerst rauskommt. Da bin ich natürlich aufs Feedback gespannt. Ich hoffe ja, dass die Leute darüber lachen können und es nicht wie meine Schwiegermutter total traurig finden. (lacht)
Du hast das Buch zusammen mit deiner Frau Helena geschrieben. Es gibt dieses schöne Foto: Du liegst auf der Couch und klagst dein Leid, Helena schreibt mit – etwa wie in einer Psychotherapie. Wie viel Wahrheit steckt denn in dieser Inszenierung?
Im Endeffekt war es genau so. Ich mache mich ja wirklich nackig und erzähle unter anderem aus meinem familiären Background, wie ich aufgewachsen bin und warum ich so bin, wie ich bin. Das hat natürlich was Therapeutisches. Helena kennt mich einerseits sehr gut – wir sind seit zehn Jahren verheiratet und sie hat viele Höhen und Tiefen mitbekommen. Andererseits ist sie Schriftstellerin und Autorin und von daher sollte sie das Buch auch schreiben. Sie hat einfach ein Talent dafür, das mir nicht so gegeben ist. Ein Buch zu schreiben ist ja doch noch mal was ganz anderes, als Songtexte zu schreiben.
Wer hatte die Idee zu dem Buch?
Das war eine gemeinsame Idee, da musste keiner den anderen überreden. Die Frage war eher, wie viel wir da von mir preisgeben wollten. Wir haben auch einiges geschrieben, was dann am Ende doch zu extrem für das Buch war und jetzt gar nicht drin vorkommt.
Zu extrem für wen – deine Familie?
Eher zu extrem für die Öffentlichkeit. Meine Schwiegermutter kennt das ja auch schon und bis meine Tochter das mal liest, gehen noch ein paar Jahre ins Land.
Wie schafft man es als Ehepaar, auch mal Abstand von so einem Projekt zu bekommen?
Wir haben ja auch noch eine Tochter, um die wir uns kümmern. Die war, als wir das Buch geschrieben haben, noch gar nicht in der Kita. Schon deshalb konnten wir uns nicht von morgens bis abends mit dem Buch beschäftigen. Parallel war ich auch immer noch mit dem Album beschäftigt und stand vor der Kamera.
Ihr sagt, dass man kein Fan von Ferris MC sein muss, um das Buch zu lesen. Was erwartet denn Leute, die dich nicht wirklich kennen?
Das Buch ist einfach gute Unterhaltung. Es ist eine einzigartige, humorvolle, dramatische Geschichte mit vielen Spannungsbögen. Wir haben versucht, es romanmäßig zu verfassen. Auch wenn es in der „Kein Roman“-Reihe vom Edel Books Verlag erscheint, ist es schon als Roman zu lesen.
Du hast dein Leben bereits in unzähligen Songs erzählt. Was ist im Buch anders?
Im Buch ist einfach mehr Platz für Details und es ist wirklich authentisch. In den Songs kann man die ganzen Storys nur anreißen und ich nehme mir da auch mehr Freiraum für künstlerische Gestaltung.
Zwischen Erfolgen, Exzessen und Abstürzen – was macht das heute mit dir, so offen über diese Achterbahnfahrt zu reden?
Ich bin ja nicht mehr „diese“ Person. (lacht) Nein, also diese Vergangenheit gehört natürlich zu mir. Aber als Mensch habe ich mich in den ganzen Jahren weiterentwickelt und bin an diesen Geschichten auch gewachsen. Im Nachhinein merke ich schon, dass all diese Geschichten eine Bedeutung für meine Entwicklung hatten.
Im Buch schreibst du: „Mein Alter Ego, der Freak Ferris und der fertige Sascha aus Bremen waren ein und dieselbe Person.“ Gab es einen prägenden Moment, in dem dir das klar geworden ist?
Das war schon ein Prozess und den beschreibe ich im Buch. Die Drogenentzüge und was ich danach alles verarbeiten musste, dass ich Helena getroffen habe, wir geheiratet haben und Eltern geworden sind – das alles hat diese Transformation ausgelöst. Die Dämonen sind schon noch da, aber jetzt gebe ich sie nur noch kontrolliert für die Kunstfigur Ferris ab. Heute bin ich aber in erster Linie ein verantwortungsbewusster und liebevoller Vater und nicht dieser Ferris, der sich mit Anfang 20 weggeballert hat und nicht mal Verantwortung für sich selbst übernehmen konnte.
Heute bist du mit deiner Musik beim Label „Missglückte Welt“ zu Hause. Im Buch schreibst du darüber: „Ich habe in der größten Krise meiner musikalischen Laufbahn zwei Alben fertiggestellt: ‚Missglückte Asimetrie‘ und ‚Alle hassen Ferris‘ “. Was genau meinst du mit dieser „größten Krise“?
Das meinte ich schon vorhin mit dem „Standing“, dass ich nicht mehr wusste: Kann ich machen, was ich will? Kann ich die Sachen qualitativ so gut abliefern, wie ich will und es wird einfach nicht angenommen? In diesem Zustand befand ich mich. In dem Moment habe ich mich auch von allen Leuten getrennt – also Management, Booking und allen Leuten, die maßgeblich daran beteiligt waren, dass ich in dieser Krise steckte. Es gab 2017 das Album „Asilant“, was ich auch im Buch beschrieben habe. Das hat sehr viel in mir ausgelöst und da stand auf einmal eine Identitätskrise im Raum. Dann habe ich mich aufs Land verpisst und mit der Band Madsen das „Wahrscheinlich nie wieder vielleicht“-Album gemacht. Da habe ich langsam angefangen, mich wiederzufinden, wusste aber immer noch nicht so genau: Wer will ich sein? Wer bin ich denn überhaupt? Dann war das Album ein super Misserfolg, was Charts und Verkaufszahlen angeht. Aber die Qualität des Albums war schon das, wo ich sein wollte. Das war mein Ticket, um in die „Missglückte Welt“ einzusteigen. Dort wurde ich einfach darin bestärkt, der zu sein, der ich jetzt bin, das weiter zu perfektionieren und weiter daran zu feilen. Und die richtige Energie da hinzulenken. Das meine ich mit dieser Krise: Ich konnte machen, was ich wollte und keiner hat mir zugehört oder das gefeiert. Anerkennung, Liebe – all das wurde mir in diesem Moment entzogen.
Ich finde auch, dass man das auf „Wahrscheinlich nie wieder vielleicht“ hören kann – alles wirkt etwas experimentell, wie auf der Suche nach dem Sound oder dem Stil. Andererseits sind da auch Hits drauf – „Für Deutschland reichts“ zum Beispiel …
Das war auch ein guter Step, so einen Song zu machen, aber die Leute waren – das Gefühl habe ich ja oft, dass ich der Zeit irgendwie voraus bin – einfach noch nicht bereit, das anzunehmen. Ich muss das auch immer noch lernen, dass man die Hörer langsam an neue Sachen heranführen muss. Du kannst nicht von heute auf morgen von „Mutterficker“- und „Hurensohn“-Songs zu so einem leichten, lyrischen Augenzwinkern switchen. Das muss man langsam anfüttern. Jetzt, wo ich das ein bisschen kontinuierlicher mache, bekomme ich auch wieder gutes Feedback und ich habe das Gefühl, auch dank des „Missglückte Welt“-Umfelds, die Leute auch damit zu erreichen.
„Die Dämonen sind schon noch da, aber jetzt gebe ich sie nur noch kontrolliert für die Kunstfigur Ferris ab“
Markieren diese letzten beiden Alben dann für dich diesen Punkt, endlich der „wahre“ Cross-over-Ferris sein zu können? Ist das endlich der Sound, nach dem du gesucht hast?
Genau. „Missglückte Asimetrie“ war schon noch eine Findungsphase, aber bei der Produktion von „Alle hassen Ferris“ ging das Schreiben und Performen so locker von der Hand. Ich wusste einfach in dem Moment: Ja, das bin ich.
Im Buch schreibst du: „Ich habe dieses Hip-Hop-Ding nie so ernst genommen, habe mich schon immer als Crossover-Musiker gesehen, der verschiedenste und vermeintlich konträre Musikrichtungen in sich und seiner Arbeit vereint.“ Anfang der Neunziger haben unter anderem Braunschweiger Bands wie Such a Surge oder auch Phase V dem Punk-Rap oder Crossover zum ersten Mal echte Aufmerksamkeit in Deutschland verschafft. Mit Such a Surge hast du auch die „Chaos“-EP gemacht. Inwieweit hat dich dieser Sound damals beeinflusst?
Beeinflusst hat mich eigentlich – und das war ja noch davor, so 1991 – Bodycount. Da war ich mit 18 auf einem Konzert. Das war so lustig: Ice-T in seinem weißen Opa-Unterhemd und seine Jungs mit dicken Winterjacken, Eishockeymasken und Beanies. Das war so strange und gleichzeitig so geil. Wie gesagt, das hat mich Anfang der Neunziger beeindruckt. Außerdem die englischen Hardcore-Sachen wie Gunshot und Highjack oder No Remorse aus Bremerhaven. Aber auch Beastie Boys und Run DMC, die waren ja schon in den 80ern die Vorreiter für diese Mischung von Gitarren-Samples, Beats und Rap. Das waren so meine Einflüsse und natürlich Punkrock. Damals gab es einfach noch nicht so viel Rap, da waren Die Ärzte, Slime und Toxoplasma meine Welt.
Ich finde das ja super, dass du so unironisch zu deiner Zuneigung für Die Ärzte stehst. Ich bilde mir auch ein, dass dein Song „Kein Kompliment“ eine Hommage an „Westerland“ ist …
Ja, ich habe mich ja schon oft als Ärzte-Fanboy geoutet. (lacht) Ich kenne Bela ja auch schon lange. Eine seiner Geburtstagspartys kommt auch im Buch vor. Diese Verbindung wird schon immer bleiben und es ist auch wichtig, zu seinen Vorbildern zu stehen.
Lass uns noch mal zu Such a Surge zurückkommen – die waren vielleicht nicht der Einfluss, aber die Zusammenarbeit kam dann vermutlich schon zustande, weil ihr gemeinsame Vorbilder hattet?
Voll. Ich habe die wirklich geliebt und ich war auch auf das Konstrukt dieser Band immer ein bisschen neidisch. Genauso hätte ich mir das auch gewünscht. Es gab eine Hardcore-Band aus Bremen, die hieß Surprise, da war ich mal ein, zwei Tage drin, aber das hat irgendwie nicht geklappt. Die waren schon auch noch vor Such a Surge am Start, die wurden nur nie berühmt. Wenn Such a Surge noch mal was machen würden, wäre das gerade schon der richtige Zeitpunkt. Die können die gerne mal eine Reunion machen. Die sind ja auch so in meinem Alter, warum nicht?
Ok, das halten wir so fest: Ferris wünscht sich, dass Such a Surge noch mal spielen!
Ja voll! Dann sollen die direkt auch nach ‘nem Feature fragen.
Hast du noch eine abschließende Weisheit, die du mir mit auf den Weg geben willst?
Nee, eigentlich nicht. Dieses Buch ist kein Ratgeber, da find ich es schwierig, dir jetzt noch so eine Lebensweisheit mitzugeben.
Danke dir für das Gespräch!
Danke dir, bis zum nächsten Mal.
Fotos Urban Zintel