European Shootingstar Leonie Benesch zu „Das Lehrerzimmer“.
Ihre erste Hauptrolle spielte die in Hamburg geborene Leonie Benesch als 17-Jährige im Drama „Das weiße Band – eine deutsche Kindheitsgeschichte“ von Michael Haneke, das 2009 in Cannes mit einer „Goldenen Palme“ prämiert wird und der Schauspielerin den „New Faces Award“ einbringt. Für den Auftritt in der Serie „Babylon Berlin“ folgte der Deutsche Schauspielpreis, für internationales Aufsehen sorgte die Rolle im Netflix-Drama „The Crown“. Zuletzt war sie in dem achtteiligen Öko-Thriller „Der Schwarm“ im ZDF zu sehen. Auf der Berlinale wurde die 31-Jährige zum „European Shootingstar“ gekürt Und war dort zudem im Drama „Das Lehrerzimmer“ als engagierte Pädagogin in Nöten zu erleben. Mit der Schauspielerin sprach Dieter Oßwald.
Frau Benesch, Sie hatten eine turbulente Berlinale. Zwei Filme, zudem der European Shooting-Star. Wie waren Ihre Festival-Erinnerungen?
Das Shooting Star Programm dauerte vier Tage und war sehr intensiv. Weil ich gleichzeitig allerdings die Premieren von „Der Schwarm“ und „Lehrerzimmer“ hatte, konnte ich leider nicht ganz so viel Zeit mit den anderen Shooting Stars verbringen, wie ich eigentlich wollte. Für mich war das ein wunderbarer Austausch mit spannenden Menschen.
Kaum ein Film wurde auf der Berlinale so gefeiert wie „Das Lehrerzimmer“. Nicht wenige hätten sich das Drama für den Wettbewerb gewünscht. Waren Sie von der Resonanz überrascht und war schon beim Drehen absehbar, das wird ein starkes Stück?
Nein, dieser Erfolg war total unerwartet und natürlich wunderschön. Wir fanden alle, dass wir einen guten Film gemacht haben. Wir dachten, das wird ein kleiner Film, den vielleicht nur ein paar Leute im Kino sehen, aber mit dem wir sehr glücklich sind. Dass es auf der Berlinale derart märchenhaft losging, ist schier unglaublich. Auf dem Filmmarkt hat sich „Das Lehrerzimmer“ zum Verkaufshit entwickelt „Wir sind ausverkauft, bis auf Indonesien!“, sagte mir unser Produzent Ingo Fliess vorige Woche.
Was hat sie an diesem Stoff interessiert?
Casting Director Simone Bär, die leider vor kurzem verstarb, hatte mir das Buch geschickt. Wenn Simone ein Projekt vorschlägt, war das immer ein Gütesiegel. Das hat sich auch diesmal bestätigt, für mich war das ein sehr klug geschriebenes Buch. Zudem fand ich die Filme von Regisseur İlker Çatak großartig, insbesondere „Es gilt das gesprochene Wort“. Danach war klar, dass ich mit ihm „Das Lehrerzimmer“ auf alle Fälle machen möchte.
Mögen Sie Ihre Figur der Carla Nowak?
Man muss seine Figuren auf jeden Fall verstehen. Wenn man wirklich Verständnis für jemanden aufbringt, dann geht das auch mit einer Liebe für diese Figur einher. Würde ich so handeln wie Carla? Nein! (Lacht)
Haben Sie für die Rolle in Schulen recherchiert, wie es dort aktuell so zugeht?
Das Drehbuch war so enorm gut geschrieben, da musste ich gar nicht viel recherchieren. Die Arbeit haben die Autoren für mich gemacht. İlker Çatak hat viel in Hamburger Schulen hospitiert und kennt sich entsprechend gut aus. Daraus entsteht diese Genauigkeit und Glaubwürdigkeit im Film, die mir sehr gefällt.
Wie waren Ihre eigenen Schul-Erfahrungen?
Wenn ich an Lieblingslehrer denke, fällt mir Herr Brückmann ein. Er unterrichtete sehr antiautoritär und liebevoll und war sehr geduldig. Auf der anderen Seite erinnere ich mich an Riva Siedner, eine ältere jüdisch-französische Dame, die Französisch lehrte. Sie war in unserer Klasse als „Der Drache“ bekannt. Ich habe aber nie mehr gelernt als bei dieser Frau! Wenn ich über Lehrkräfte nachdenke, stelle ich fest, dass ich Autorität liebe, wenn sie angebracht ist. Das war auch in der Schauspielschule so. Ich habe die Lehrer, die zurecht rumgebrüllt haben, total verstanden. Ich mag Autorität nur dann nicht, wenn sie nicht angebracht oder ungerecht ist.
„Der Film ist ein Kommentar zu unserer Debattenkultur.“
Es gibt Helikopter-Eltern und politisch überkorrekte Pädagogen – was wäre das Lernziel in „Das Lehrerzimmer“?
Der Film ist ein Kommentar zu unserer Debattenkultur, eine Beobachtung davon, wie wir momentan miteinander diskutieren. Es wird sehr viel mit Überschriften und emotional aufgeladenen Verteidigungsreden hantiert, die an einem echten Dialog vorbei gehen. Wir sehen mit Carla Nowak eine Person, die alles richtig machen will, aber immer wieder scheitert, aus unterschiedlichen Gründen. Das passiert durch ein absichtliches oder unabsichtliches Missverstandenwerden.
Es gibt eine Filmregel, die besagt: Dreh nie mit Kindern oder Tieren. Wie erging es Ihnen mit dieser Schulklasse?
Gute Kinderdarsteller sind selten. Umso eindrucksvoller fand ich, wie außerordentlich talentiert sich unsere Gruppe erwiesen hat. Das war absolut großartig. Natürlich ist es anstrengend, diesen ständigen Lärmpegel zu haben. Gleichzeitig ist es auch wahnsinnig schön. Weil Kinder nur fünf Stunden drehen dürfen, wusste man auch, dass dieser Lärm irgendwann auch vorbei geht! (Lacht)
Was hat es mit dem Abschlussbild auf sich, das viele überrascht?
Es ist ein kluges Ende. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob die Schulsekretärin die Diebin ist, ich weiß nicht, wer Recht hatte. Spielt es eine Rolle am Ende des Tages? Ich finde dieses Abschlussbild ein schönes Diskussionsangebot für Gespräche nach dem Film!
Was ist die wichtigste Qualität in Ihrem Beruf?
Keine Ahnung. Vielleicht gut zuhören können…
Fotos Alamode Film