Acht Eimer Hühnerherzen
1. April | Sauna-Klub (WOB)
hallenbad.de
Kreuzbergs Nylon-Punk-Avantgarde Acht Eimer Hühnerherzen veröffentlicht Album Nummer drei und lädt am 1. April zum Schwitzen in Wolfsburgs Sauna-Klub.
17 Uhr, im Yogazimmer zwängen sich die drei Bandmember auf die mäßig ausladende Couch. Drummer Bene Diktator, Bassist Johnny Bottrop genannt Jacho und Sängerin und Nylongitarristin Apocalypse Vega schauen in die Webcam. Gemeinsam stellen sie am 18. März ihr drittes Album „Musik“ ins Regal, passig dazu spielt das Trio, soweit es Großvisier Corona zulassen möge, am 1. April keine Scherze, sondern ein Konzert im Wolfsburger Sauna-Klub. Und das Beste daran, wie Bene verspricht: „Wir haben ernsthaft vor, wirklich zu kommen!“ Also Sport frei für musikalischen Frohsinn im Speckmantel existenzialistischer Songtexte.
Brutalisierung
Wenn es nach Vega gegangen wäre, so hätten der Band auch fünf Eimer Hühnerherzen im Namen gereicht, doch wurde dieser Vorschlag angefochten, sodass sich Jacho und Bene letztlich durchsetzten: „Unter Acht geht nichts.“
Diese kollaborative Praxis zieht sich übrigens als elementares Konzept durch die Bandgeschichte, die seit ihrem Beginn 2018 nun vier Jahre zählt. „Bene und ich haben Vegas Texte genommen und sie etwas brutalisiert. Wenn uns Textzeilen zu lieb vorkamen, haben wir die mit Massaker-, Mord- und Todschlag-Wörtern ergänzt“, erklärt Jacho, der den meisten als Gitarrist der Berliner Punkinstitution Terrorgruppe bekannt sein dürfte. Nachdem dieser auf einem seiner Konzerte im Kreuzberger Klub „Trickster“ von der laut eigener Aussage am härtesten pogenden Person im Raum – Vega – und ihren Songwriting-Ideen Wind bekam, verabredeten sich die beiden mit Akustikgitarren im Görlitzer Park. „Wir trafen uns vor dem Hühnermörder-Grill, da wo sich die Berliner Polizei ihre gegrillten Billighühner kauft“, wie Jacho eindrücklich verrät.
Noch beim ersten Treffen schrieben sie den Song „Eis auf Ex“, einen der bis heute erfolgreichsten Songs der Gruppe. Die Nylonbesaitung etablierte sich aus einer Not heraus zu einem Markenzeichen. Vega: „Ich hatte einfach keine anderen Instrumente. Ich hab’ mit der Gitarre gespielt, die eben da war. Und Johnny am Bass musste dann natürlich auch auf ein halbakustisches Instrument gehen.“ Als dann beim Tischtennis noch Drummer Bene akquiriert werden konnte, war das Power-Trio komplett.
Gemeinsame Sprache
Wie schafft man es, innerhalb von vier Jahren jetzt schon mit Album Nummer drei aufzuwarten? Nun, sicherlich hat auch Corona seinen Teil dazu beigetragen. „An dieser Situation der letzten zwei Jahre war eigentlich alles nur scheiße. Um diesen ganzen Rotz erträglich zu machen, haben wir durch das Songsschreiben wenigstens etwas Erträgliches auf die Beine gestellt. Ich kann es nicht schöner sagen“, so Bene. „Anfangs hatten wir überhaupt keine gemeinsame Sprache in der Musik, wie wir zusammen ein Lied arrangieren oder so“, erklärt Jacho, der mit Mitte 50 der Erfahrenste im Team ist. „Was ist ein Break, was ist ein Chorus? Wir haben eigene Benennungen für diese Sachen etabliert, die nur in unserem Wortschatz existiert haben. Dazu diese lustigen Instrumente, die eigentlich viel zu niedlich sind für Punk-Rock, wo wir erst herausfinden mussten, wie man damit sehr laut und krachig spielen kann. Wir haben da aber dann Verstärkung bekommen, zum Beispiel von der Band Vizediktator, in deren Proberaum wir ihre großen Verstärkerchen benutzen dürfen. Auf diese Weise kriegt man auch Verzerrung aus einer Nylonsaitengitarre“, holt Jacho aus.
Existenzialismus zum Abknutschen
„Die meisten Lieder entstehen bei mir auf dem Sofa. Oft wirklich an einem Abend in einer furchtbaren Situation, nach einem furchtbaren Tag. Strophe, Refrain, Gitarre und Gesang. Gegenüber meines Sofas steht mein Bücherschrank, der dicke rote Einband von Sartre hat den gleichnamigen Songtitel verliehen.“ Einer der Songs, der die Band sofort abholte, trägt den Titel „Genug“, in dem es heißt: „Ich will mich alle elf Sekunden in ‘nen andern neu verlieben. Ich will im Einkaufsparadies alle Bonuspunkte kriegen: Ich will in jeden Sportverein und neue Mischform-Dividenden. Ich will alles gern begrenzen und meine Grenzen sprengen. […] Und vielleicht geht es mir dann gut. Vielleicht hab ich ja dann genug.“ Klingt dystopisch und etwas an die Gurgel-gehend, macht aber richtig Spaß zu hören!
Und das ist am 1. April sogar live und in Farbe möglich, denn dann kommen die Hühnerherzen in den Sauna-Klub nach Wolfsburg, der so ganz anders ist, als von den Hühnerherzen befürchtet, wie Jacho es ausdrückt: „Die Musik in ‘nem handelsüblichen Saunaklub ist die falsche und sie ist auch viel zu leise, sie wird nicht live dargeboten, sondern kommt aus wasserdichten Lautsprechern. Und die DJs, die diese wasserdichten Lautsprecher bedienen, haben einen absolut scheußlichen Musikgeschmack.“
Bis zum 1. April bleibt darüber hinaus noch viel Zeit, die neue Platte „Musik“ zu genießen. Ganze 15 Songs zählt das Teil, aber eines soll ausdrücklich nicht geschehen: Bei den Hühnerherzen bitte nicht shufflen! Leitsatz von Bene Diktator dazu: „Wie im Schwimmbad: Vom Beckenrand springen verboten. Bei uns ist eben Shufflen verboten.“
Fotos Mike Auerbach