Dreckig-glamouröser Indie-Pop aus Chemnitz: Das Trio Blond legt mit „Perlen“ sein zweites Album vor.
Schon im Kinderzimmer haben die Schwestern Nina und Lotta Kummer und Johann Bonitz Musik gemacht. Mittlerweile füllen sie Hallen und tummeln sich auf Festivals. Kurz vor der Corona-Pandemie erschien dann ihr Debütalbum „Martini Sprite“ und drei Jahre später folgt mit „Perlen“ nun Platte Nummer zwei. In der Zwischenzeit haben Lotta und Nina ins Mikro nicht nur gesungen, sondern auch gesprochen und ihren Podcast „Da muss man dabei gewesen sein“ veröffentlicht. Außerdem gründeten die drei ihr eigenes Label „Betonklunker“. Und weil Blond alles aussprechen und nichts beschönigen, hat die Band in einem umfangreichen Projekt auch auf das Thema sexualisierte Gewalt aufmerksam gemacht. Wir haben mit Gitarristin und Sängerin Nina über die letzten Jahre und das neue Album gesprochen.
Ihr wirkt auf eurem aktuellen Album noch selbstbewusster als auf dem ersten. Es gibt wieder ein Intro und Outro. Aber während ihr euch zu Beginn von „Martini Sprite“ noch vorstellt und hofft, dass es den Leuten gefällt, sind auf „Perlen“ eure Fans zu hören, die beim Konzert im Chor euren Schlachtruf singen. Habt ihr euren Platz in der Musikindustrie jetzt nochmal gefestigt oder wie habt ihr die vergangenen drei Jahren wahrgenommen?
Nina Das ist eine interessante Beobachtung. Also das erste Album war unser Debüt und da war man natürlich noch in so einem Prozess von: Wie macht man das jetzt? Und ich habe schon das Gefühl, dass man beim zweiten Album jetzt natürlich ein bisschen sicherer ist, was man will, was man sagen will, wie man sein will, was für Musik das sein soll. Insofern hast du wahrscheinlich recht. Wir haben schon immer viele Konzerte gespielt, aber wir sind ja auch alle nochmal drei Jahre älter geworden. Und vielleicht ist das Album deswegen auch ein bisschen selbstsicherer geworden.
Euer Debütalbum ist erschienen kurz bevor Corona alles lahmgelegt hat, ihr musstet also erstmal warten bis ihr mit euren neuen Songs auch auf die Bühne konntet. Welches Gefühl habt ihr jetzt, beim zweiten Album, wenn ihr an die Tour und Festivals denkt? Wie groß ist der Nachholbedarf?
Wir haben unsere Tour zum ersten Album letztes Jahr noch im Herbst gespielt, nachdem wir die dreimal verschoben haben. Wir haben auch letztes Jahr trotzdem alle Festivals gespielt, die wir hätten spielen sollen. Also wir sind quasi wieder auf null. Wir starten jetzt mit dem Album in den ganz normalen Festivalbetrieb und dann im Winter gibt’s die Tour. Es fühlt sich irgendwie wieder nach Normalität an.
Sind auf dem Album nur die „Perlen“ gelandet – oder warum der Titel?
Uns hat das Bild immer gefallen: Wenn Dreck oder Verunreinigung in eine Muschel reinkommen, dann wird das so umschlossen und wird zu dieser Perle. Das ist eigentlich ein Produkt davon, wie die Muschel damit umgeht, wenn ein bisschen Dreck von außen reinkommt. Da wird dann irgendwann die Perle draus. Wir haben das ein bisschen als Sinnbild gesehen, weil wir auch oft Sachen aus unserem Alltag verarbeiten, die nicht unbedingt immer schön sind. Und wir versuchen die dann aber auch so zu verarbeiten, dass man die am Ende als schönen Titel präsentieren kann. Und deswegen haben wir uns für diesen Titel entschieden. Weil dann alle Songs jeweils eine Perle sind.
„LaFee hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich das auch kann: Als Mädchen auf eine Bühne.“
In „Durch die Nacht“ – ein Song eures neuen Albums – singt ihr über weibliche Vorbilder in der Musik und zitiert „Heul doch“ oder „Von hier an blind“. Inwiefern haben Künstlerinnen wie LaFee oder Wir sind Helden euch beeinflusst, selber auf die Bühne zu gehen?
Ich bin und war großer LaFee-Fan. Davor gab es immer Boygroups. Man hat die so angehört und hat die Musik aber eigentlich gehört, um ein bisschen nach denen zu schmachten. Bei LaFee ging es mir dann das erste Mal so, dass ich gedacht habe: Oh krass, man kann ja auch jemanden einfach cool finden. Und die hat mir das Gefühl gegeben, dass ich das auch kann: Als Mädchen auf eine Bühne. Am Anfang habe ich immer Sängerin gespielt, hab auf meinem Bett gestanden und in ein imaginäres Mikrofon gesungen, weil ich als Kind gespielt habe, dass ich sie bin. Ich glaube, das macht schon was aus, wenn man so ermutigt wird, auch mal auf eine Bühne zu gehen, ein Instrument zu spielen, eine Band zu gründen. LaFee war die erste Musikerin, bei der mir richtig klar wurde, dass ich dazu auch sehr wohl in der Lage bin, genauso wie meine Schwester. Danach kamen noch viele andere tolle Künstlerinnen: Wir sind Helden, dann gab es 2raumwohnung, meine Schwester hat viel Missy Elliott gehört.
Zusammen mit Power Plush gibt’s außerdem den Song „Ich sage ja“, in dem es darum geht, dass einem als Frau meistens eingebläut wird, zu allem ja und amen zu sagen. Wie habt ihr es denn geschafft, weniger „Ja“ zu sagen? Habt ihr es überhaupt geschafft?
Wenn man jetzt überlegt, wie wir unsere feministische Ansicht entwickelt haben – das ist alles während unserer Karriere entstanden, dass wir uns überhaupt mit solchen Themen auseinandergesetzt haben. Oder was es heißt, weiblich sozialisiert zu sein in unserer Gesellschaft und warum manche Sachen bei uns so laufen und bei unseren Bandkumpels nicht, bei denen nur Typen in den Bands spielen. Es ist immer schwer zu sagen, wie wir das geschafft haben, denn es fällt einem immer noch schwer, aber ich fand es zumindest schön, mitzubekommen, dass es nicht nur mir so geht, sondern, dass es auch eine Frage von Sozialisation ist. Dass man angelernt bekommt, dass man als Mädchen Harmonie versprühen soll und bitte immer für die guten Vibes in einem Raum zuständig sein soll und sich kümmern soll und lieb sein soll. Während es bei Jungs im Kindergarten völlig in Ordnung ist, dass die sich da raufen.
„Du und ich“ ist ebenfalls ein Song, den ihr auch schon als Single veröffentlicht habt und in dem Zusammenhang ist damals auch das Buch bzw. Hörbuch der sexualisierten Gewalt entstanden. Was war eure Idee hinter dem Projekt?
Wir haben den Song rausgebracht und der thematisiert sexualisierte Gewalt und dann haben wir gedacht, weil uns das Thema so am Herzen lag, dass es irgendwie zu knapp ist, das auf einem Drei-Minuten-Song zu behandeln. Deswegen haben wir damals überlegt, ob wir noch über eine Kunstaktion das Thema sichtbar machen können. Dann haben wir die Hütte der sexualisierten Gewalt erschaffen. Da haben wir in Chemnitz auf den Marktplatz eine Hütte gestellt, die total niedlich aussah von außen, mit Blumen. Draußen war eine ganz große Trigger-Warnung dran. In dieser Hütte waren dann 69 anonymisierte Erfahrungsberichte von Betroffenen sexualisierter Gewalt zu lesen. Wir wollten zeigen, wie vielschichtig sexualisierte Gewalt ist und fanden, dass diese Hütte, die auch so harmlos aussah, auch ein bisschen widergespiegelt hat, dass es oft irgendwo passiert, wo man es gar nicht erahnen kann: In den eigenen vier Wänden oder im Freundeskreis. Dann war diese Hütte ja natürlich leider nicht so mobil und viele Leute wollten aber gerne das Projekt auch bei sich ausstellen. Daraufhin haben wir das Hörbuch und das Buch der sexualisierten Gewalt gemacht. Beim Hörbuch wurden dann die 69 anonymisierten Erfahrungsberichte eingesprochen von verschiedenen prominenten Menschen, die ihre Stimme dafür geliehen haben und ihre Reichweite genutzt haben, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Und im Buch wurden die dann abgedruckt. Damit wir das möglichst einer noch breiteren Masse zugänglich machen können. Denn es fällt ja nicht jeder Person leicht, in so eine Hütte reinzugehen, aber vielleicht wenn man sich Stück für Stück ein Hörbuch immer mal häppchenweise anhören kann, alleine zu Hause – als Mann vielleicht auch – dann ist das schon was anderes.
Was gab es für Rückmeldungen?
Natürlich hat es uns sehr gefreut, wenn es Leute zum Nachdenken angeregt hat und sie gesagt haben: Ich bin mit einer ganz anderen Meinung da reingegangen und kam total geschockt und fassungslos wieder aus, weil ich gemerkt habe, das ist ein strukturelles Problem. Vielleicht sollte ich mal mit meinen Kumpels darüber reden, dass es nicht in Ordnung ist, jemandem an den Arsch zu fassen, anstatt den Kumpel immer zu entschuldigen. Dann gab es natürlich viel positives Feedback und was uns auch am wichtigsten war, dass wir uns mit Betroffenen solidarisieren. Es gibt aber immer Leute, die das blöd finden. Und deswegen haben wir es in der Mitte des Marktplatzes aufgestellt, weil uns klar war, dass es da komplett raus aus unserer Bubble ist. Wenn die Leute zur Fleischerei gehen oder so, es war ja eine Kunstaktion im öffentlichen Raum, und das dann sehen – vielleicht schimpfen die, aber vielleicht denken die trotzdem ein bisschen drüber nach. Das habe ich mir zumindest immer erhofft.
„Es hat früher schon gereicht, dass wir zwei Frauen und ein Blinder sind auf der Bühne.“
Eure Texte sind oft unbequem, „Du und ich“ ist da nur ein Beispiel. Ihr singt generell viel über Themen, die gesellschaftlich immer noch als Tabu gelten. Wie viel Gegenwind müsst ihr da auch einstecken?
Es gibt natürlich immer Leute, die sich dran stören. Es hat früher schon gereicht, dass wir zwei Frauen und ein Blinder sind auf der Bühne. Da gab es schon unfassbaren Hass, ohne dass wir überhaupt inhaltlich was gesagt haben. Damals haben wir noch englische Musik gemacht. Also, wir sind damit aufgewachsen. Aber das ist ja bei allem so, was man in der Öffentlichkeit macht. Da gibt’s Leute, die das nicht cool finden und es gibt ja aber immer auch Leute, die es cool finden. Und wenn sich das ein bisschen ausgleicht, und bei uns habe ich sogar das Gefühl, es finden mehr Leute cool als dass es Leute kacke finden, dann ist es ja in Ordnung.
Foto Sarah Storch