Kunstmuseum Wolfsburg
„Checkpoint. Grenzblicke aus Korea“
bis 18. Sept. / Kunstmuseum Wolfsburg
kunstmuseum.de
Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt bis zum 18. September die Ausstellung „Checkpoint. Grenzblicke aus Korea“, die sich mit der Teilung, Beziehung und Zukunft von Nord- und Südkorea auseinandersetzt.
Ob physisch, mental oder emotional – Menschen tendieren dazu, Grenzen zu setzen. Diese können individuell oder politisch sein; zum Teil werden sie respektiert, zum Teil auch überschritten. Hierzulande assoziiert man mit dem Begriff „Grenze“ insbesondere die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch während wir mit dem Mauerfall ’89 eine friedliche Revolution feiern konnten, bleibt Korea bis heute die letzte Bastion des Kalten Krieges.
Seit nunmehr 77 Jahren teilt ein 248 Kilometer langer und vier Kilometer breiter Grenzstreifen das Land in Nord- und Südkorea. Nur 40 Kilometer von Südkoreas Hauptstadt Seoul entfernt liegt die Demilitarisierte Zone (DMZ). Sie gehört zu den gefährlichsten Grenzen der Welt und ist ein Sinnbild für die (un)sichtbaren Brüche zwischen Nord- und Südkorea.
Diese über Jahre entstandenen Wunden und manifestierten Traumata arbeitet die Ausstellung „Checkpoint. Grenzblicke aus Korea“ auf, die es bereits in London, Sidney und Paris zu sehen gab und die nun bis zum 18. September im Kunstmuseum Wolfsburg gastiert.
Grenzen brechen
„Checkpoint. Grenzblicke aus Korea“ wurde von der in Seoul lebenden Sunjung Kim kuratiert und für das Kunstmuseum Wolfsburg adaptiert. Auf etwa 800 Quadratmetern werden rund 35 Werke koreanischer und nicht-koreanischer Künstler:innen gezeigt, die mit ihrer zeitgenössischen Kunst einen kritischen Blick auf die (un)sichtbaren Grenzen der DMZ werfen. Dabei teilt sich die Ausstellung in drei Themenbereiche: Nordkorea, die DMZ und der Ausblick auf eine gemeinsame Zukunft.
Einen imposanten Ausstellungsauftakt macht etwa das Stickerei-Projekt „What you see is the unseen / Chandeliers for Five Cities“ der Künstlerin Kyungah Ham. Auf einer schwarzen Leinwand prangen zwei fotorealistische Kronleuchter, die zwar unabhängig voneinander, aber trotzdem nebeneinander in einer eindrucksvollen Synchronität herschwingen. Erst bei genauerer Betrachtung erkennt man die kleinen, feinen Stickereien: Gelbe, rote, grüne, blaue und weiße Seidenfäden aus Baumwolle, die von nordkoreanischen Stickerinnen in mehrtausendstündiger Kleinstarbeit zu diesen brillanten Kronleuchtern verarbeitet wurden. Während die prächtigen Kristallkörper an die Privilegien und die geopolitische Macht ausländischer Staaten wie China, England, Russland und die USA erinnern, spiegeln die einzelnen Stiche der nordkoreanischen Arbeiterinnen den Versuch wider, die Menschen zu verbinden, deren Leben weiterhin von der Teilung der koreanischen Halbinsel diktiert wird.
Im selben Ausstellungsraum befindet sich auch das starke „Checkpoint.“-Keyvisual: „A soldier standing on the water, July 2011“ stammt vom südkoreanischen Fotografen Heinkuhn Oh und zeigt einen jungen Soldaten, dessen Gesicht weder vor Patriotismus noch Überzeugung strotzt. Vielmehr sieht man Unsicherheit und Angst in seinen Augen. Damit hinterfragt der Fotokünstler das „kollektive Bewusstsein“ Südkoreas und sein eigentümliches Gefühl des „Wir-Seins“.
Grenzüberschreitend ist etwa Mischa Leinkaufs Zwei-Kanal-Video „Northern Limit Line (North Korea, South Korea)“. Der Berliner beschäftigt sich seit vielen Jahren in seinen Arbeiten mit zugangsbeschränkten Räumen. Für seine Kunst greift er deshalb in bestehende Ordnungssysteme ein und reizt existierende Grenzen aus. So zeigt „Northern Limit Line (North Korea, South Korea)“ einen Drohnenflug von Süd- nach Nordkorea quer über den Han-Fluss. „Seit vielen Jahren versuche ich Wege zu finden, wie man Staatsgrenzen symbolisch, dokumentarisch oder performativ überwinden kann“, erklärt Mischa Leinkauf beim Ausstellungsrundgang. Mit der Überquerung des Han-Flusses gelingt es dem jungen Berliner Künstler, die von Menschen gezogene Grenze auf natürliche Weise aufzubrechen – mithilfe von Luft und Wasser.
One Korea
Trotz seiner gemeinsamen Geschichte gibt es kulturelle, psychologische wie auch ideologische Unterschiede zwischen Nord- und Südkorea. Trotzdem eint die Menschen der große Traum nach Wiedervereinigung. Diese Sehnsucht nach „einem Korea“ hatte auch der Zainichi-Koreaner und Profiboxer Hong Changsu, der im Jahr 2000 gegen den Südkoreaner Cho Inju in Osaka kämpfte. Seine Hose zierte dabei die Aufschrift „One Korea“. Dieses geschichtsträchtige Ereignis hat sich der südkoreanische Künstler Daejin Choi zum Vorbild genommen und den Boxkampf mit Acrylfarbe auf eine 240 x 600 Zentimeter große Leinwand gebracht. „Last Chance“ zeigt diesen ergreifenden Moment, an dem sich ein Boxring von einem Ort des Kampfes in einen Schauplatz der Versöhnung wandelte. „Für Hong Changsu gab es keinen 38. Breitengrad“, verrät Dino Steinhof, Wissenschaftlicher Volontär im Kunstmuseum Wolfsburg, „interessanterweise verließ er Nordkorea und nahm 2007 die südkoreanische Staatsbürgerschaft an.“
Auf Spurensuche begibt sich derweil die junge Künstlerin Jeewi Lee, die im Kunstmuseum Wolfsburg mit zwei Werken vertreten ist. Ihre Arbeit „Inzision“ ist eine Werkreihe von Papierabdrücken, welche die Berlinerin auf einer Reise zum 38. Breitengrad von fünf Bäumen mithilfe des Takbon-Reibens nahm. Takbon ist eine spezielle koreanische Methode zur Herstellung von Bildern, bei der handgeschnitzte Motive mithilfe eines Pinsels auf hauchdünnes Papier gerieben werden. „Ich sehe Bäume als stumme Zeitzeugen. Sie spiegeln Standfestigkeit und Leben wider, deswegen wollte ich ihre Fingerabdrücke porträtieren“, erklärt die in Seoul geborene Künstlerin.
Neben „Inzision“ zeigt das Kunstmuseum auch Jeewi Lees Installation „Fraktur“, die den Ausstellungsraum durch schwarze und weiße Kieselsteine in zwei Hälften teilt. Durch das Betreten der Fläche sollen sich die Steine im Laufe der Zeit miteinander vermischen, sodass die ursprüngliche Grenze immer mehr verschwimmt – eine Hoffnung, die die südkoreanisch-deutsche Künstlerin für die Zukunft Koreas trägt.
Ursprünglich war „Checkpoint. Grenzblicke aus Korea“ im Kunstmuseum Wolfsburg für 2020 zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit geplant. Zwei Jahre später bekommt das Thema Grenze erneut eine große Aktualität durch den furchtbaren russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Im 96-seitigen Katalog, der begleitend zur Ausstellung erschienen ist, wünscht Dr. Bongki Lee, Leiter des Koreanischen Kulturzentrums, deshalb: „Möge an allen Grenzen dieser Welt, an denen Konflikte herrschen, Frieden einkehren.“
Fotos Heinkuhn OH, Courtesy der Künstler, Marek Kruszewski