Vielfalt der Formen

Festival Theaterformen
30. Juni bis 10. Juli | u. a. Staatstheater (BS)
theaterformen.de

Das traditionsreiche Festival Theaterformen verwandelt Braunschweig und das Staatstheater vom 30. Juni bis 10. Juli in einen vielseitigen Raum zum besonderen Erleben von Theaterkunst.

Wie vielfältig Kunst, Theater und Performance sein können, kommt in Braunschweig nie deutlicher zur Geltung als während des Festival Theaterformen. Das traditionsreiche Festival besteht bereits seit über 30 Jahren und findet jährlich abwechselnd in Braunschweig und Hannover statt. In diesem Jahr gebührt wieder der Löwenstadt die Ehre und die neue Festivalleiterin Anna Mülter veranstaltet ihre erste hiesige Ausgabe. Schauplatz des elftägigen Festivals werden nicht nur das Große und Kleine Haus des Staatstheaters und das LOT-Theater sein, sondern auch der Herzogin-Anna-Amalia-Platz, der das diesjährige Festivalzentrum bildet.

 

Durch Tanz, Poesie, Musik oder Schauspiel werden im Rahmen des Festival Theaterformen Themen sicht- und hörbar, denen sonst in unserer Gesellschaft kaum Räume geboten werden. Obwohl das Festival schon immer großen Wert auf Diversität und Inklusion legt, verschärft die neue Leiterin Anna Mülter in diesem Jahr den Blick auf Barrierefreiheit noch einmal mehr. So wurden nicht nur Zugangsmöglichkeiten für geh- und sehbehinderte Gäst:innen erweitert, sondern auch Möglichkeiten für ein neurodivergentes Publikum wie etwa Autist:innen geschaffen sowie ein Angebot für Taube Zuschauer:innen ausgearbeitet. Damit setzt Anna Mülter ein starkes Statement: Themen wie Rassismus, Ableismus und Feminismus stehen in der diesjährigen Ausgabe der Theaterformen ebenso auf dem Programm wie Fragen nach Gemeinschaft, Formen des Widerstands sowie eine Reflexion unserer modernen Gesellschaft. „In diesem Jahr haben wir aktuelle Stücke von Künstler:innen eingeladen, die unsere Gegenwart schonungslos in den Blick nehmen und ihre eigenen Imaginationen entwerfen“, erklärte Anna Mülter beim Pressetermin zur diesjährigen Ausgabe Theaterformen.

Zu erleben gibt es in diesem Jahr 19 Produktionen aus rund einem Dutzend Länder. Den Auftakt macht der Polit-Thriller „Is This A Room“ von Tina Satter und ihrem Theaterkollektiv Half Straddle, der seinen Weg direkt vom New Yorker Broadway in die Löwenstadt findet. Darüber hinaus premiert mit dem Tanzstück „SAWTIK. Deine Stimme“ des marokkanischen Choreografen Taoufiq Izzediou die erste gemeinsame Produktion mit dem JUNGEN! Staatstheater. Ein bildgewaltiges Finale steht am 9. und 10. Juli im Großen Haus an: „Carte Noire nommée Désir“ von Rebecca Chaillon gibt einen bittersüßen Kommentar zur allgegenwärtigen rassistischen Stereotypisierung des Schwarzen weiblichen Körpers sowie zu den Vergleichen Schwarzer Körper mit Süßigkeiten oder Heißgetränken. Ein besonderes Highlight des Festivalprogramms 2022 ist das Tanzstück „The Way You Look (at me) Tonight“ von Claire Cunningham und Jess Curtis, in dem die Frage eröffnet wird, wie wir einander ansehen und welche Rolle Körper, Behinderung, Alter oder Gender dabei spielen. In unserer kommenden Doppel-SUBWAY sprechen wir mit Claire und Jess über ihr besonderes Stück. Wie außergewöhnlich das diesjährige 32. Festival Theaterformen wird und warum eine kunstvolle Symbiose aus Theater und Politik so bereichernd ist, hat uns die neue Festivalleiterin Anna Mülter im Interview verraten.

Anna, was fasziniert dich am Format des Festival Theaterformen?
Ich bin in Hannover aufgewachsen und dem Festival Theaterformen allein schon deswegen eng verbunden – ich habe fast keine Ausgabe verpasst! Aber es ist auch ansonsten etwas Besonderes: Das Festival bringt internationale Künstler:innen nach Braunschweig, deren Kunst von anderen Kontexten geprägt ist, und ermöglicht dem Publikum dadurch eine Ausweitung des Blicks über Grenzen hinaus. Und es zeigt ungewöhnliche Formen, die die Frage stellen, was Theater alles sein kann.

Warum eignet sich Kunst besonders, um politische Inhalte zu transportieren?
Kunst ist in der Lage, Themen auf die Bühne zu bringen, ohne dem Publikum eine Meinung aufzudrängen. Tina Satter zum Beispiel lässt in „Is This A Room“ auf der Bühne ein Verhörprotokoll nachspielen, das bei der Verhaftung einer Whistleblowerin durch das FBI aufgenommen wurde. Durch eine solche dokumentarische Form kann sich Theater mit aktuellen Themen der Gegenwart beschäftigen. Aber es funktioniert nicht wie eine Zeitung – bis ein Stück über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entsteht, wird es dauern. Die Kunst braucht Zeit zur Reflexion.

Und warum ist es so wichtig, Kunst und Politik miteinander zu verbinden?
Dabei folgt das Festival auch den Interessen der Künstler:innen, die ihre Kunst nicht losgelöst von den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten entwickeln. Manche verbinden ihre Kunst auch mit Aktivismus. So reflektiert Rébecca Chaillon in „Carte Noire nommée Désir“ rassistische Zuschreibungen, indem sie das Publikum auf der Bühne damit ganz direkt konfrontiert. Aber Kunst ist immer auch mehr als Aktivismus: Dazu gehört auch die Poesie, mit der das Stück in seinen Bann zieht, und die szenische Kraft von Körpern, die es feiert.

Worauf liegt beim diesjährigen Festival Theaterformen der Schwerpunkt?
Wir haben ein kleines Festival im Festival: Das „GATHERING IN A BETTER WORLD“. Drei Künstler:innen mit Behinderung übernehmen das Große Haus und verwandeln es in ihre eigenen Welten. Sie laden uns ein, dort neue Erfahrungen zu machen und neue Sichtweisen kennenzulernen – an einem Ort, der versucht, alle willkommen zu heißen.

Was sind deine persönlichen Highlights beim diesjährigen Festival Theaterformen?
Wir produzieren zum ersten Mal ein Stück zusammen mit dem Staatstheater Braunschweig. Der marokkanische Choreograf Taoufiq Izeddiou probt mit fünf Tänzer:innen aus Nordafrika acht Wochen lang in Braunschweig und wir sind ganz nah dabei. „SAWTIK“ wird ein Stück für junges Publikum, das die Erfahrungen von Isolation und die Sehnsucht nach Gemeinschaft ganz direkt körperlich umsetzt. Und zwei der Tänzer:innen, Bibata Ibrahim Maiga und Fouad Nafili, sind bei uns auch noch einmal mit ihren ersten Soloarbeiten zu erleben.

Warum eignet sich Braunschweig besonders für ein solches Festival?
Ich habe die Braunschweiger:innen beim Festival immer als offen und neugierig erlebt und freue mich auf neue Begegnungen. Zum Beispiel auch in unserem neuen Festivalzentrum auf dem Platz zwischen Kleinem Haus und Schloss-Arkaden!

Fotos Vincent Zobler, Andreas Greiner-Napp, Gianmarco Bresadola,
Sven Hagolani, Marikel Lahana, Isabel Machado Rios

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Louisa Ferch

Geschrieben von Louisa Ferch

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