Mit seinem Debütwerk „Doch“ wandelt Indie-Musiker Drangsal zwischen Fakt und Fiktion.
Max Gruber ist ein Mann fürs Kuriose: Seit knapp zehn Jahren testet der 28-jährige Südpfälzer als Drangsal die Grenzen der deutschen Musiklandschaft aus. Exzentrisch, provokant und artsy zeigt sich der Wahlberliner etwa auf dem Albumcover seines jüngsten Albums „Exit Strategy“ als Teufel oder trägt schwindelerregend hohe Lackstiefel auf der Bühne oder im „Mädchen sind die schönsten Jungs“-Musikvideo. Drangsal scheint anders zu sein, doch eigentlich ist er nur ein Bub aus der pfälzischen Provinz, der nun auch unter die Autor:innen gegangen ist. Sein Debüt „Doch“ ist eine Textsammlung an Kurzgeschichten und literarischen Miniaturen mit teils autobiografischem Charakter: 24 Texte über das Anderssein, das Aufwachsen im Hinterland und die fehlende Identifikation mit seinem eigenen Vater schwimmen sprachgewaltig und bildreich zwischen Realität und Traum. Max, den man beispielsweise auch durch seinen „Mit Verachtung“-Podcast mit Rap-Superstar Casper kennt, wird beim Lesen der rund 200 Seiten zum Freund. Von seiner faszinierenden Persönlichkeit durften wir uns auch im SUBWAY-Interview zum Buch-Release überzeugen. Wir sprachen mit dem sympathischen Künstler über „Doch“, die Pflege seiner Psyche und warum er sich einst dazu entschied, ein Unsympath zu sein.
Max, mit „Doch“ bist du nun unter die Schriftsteller:innen gegangen. Inwieweit unterscheidet sich ein Buch- von einem Albumrelease?
Das Buch zum ersten Mal in der Hand halten zu dürfen, empfand ich als aufregender als ‘ne Platte. Ich glaube, das liegt bloß daran, weil es ein anderes Medium ist und ich vorher noch nie ein Buch veröffentlicht habe. Man hat auch immer ein kleines bisschen Angst davor, nichts mehr ändern zu können.
Auch die Buchproduktion unterscheidet sich wahrscheinlich zu einer Albumproduktion …
Sie ist auf jeden Fall ein bisschen einsamer.
Hast du dir zwischenzeitlich Feedback eingeholt?
Ich habe die Texte zwischendurch an Freund:innen geschickt. Ansonsten sind es aber zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Eine Platte aufzunehmen ist immer ein geselliges Stelldichein. Doch jemandem dabei zuzuschauen, wie er einen Text schreibt, ist halt nicht so spannend. Da gibt’s nicht so viel hinzuzufügen, wie wenn ein Kumpel spontan im Studio vorbeischaut und sagt, ich solle ihm die Gitarre reichen. Aber ich habe zwischenzeitlich ein paar Texte verschickt, um zu schauen, wie die Reaktionen sind.
Hast du alle Texte in den vergangenen zwei Jahren geschrieben oder gab es auch schon welche, die bereits in der Schublade lagen?
Viele davon lagen tatsächlich lange in der Schublade. Ich glaube, das allererste Gedicht in dem Buch habe ich mit fünfzehn, sechzehn oder siebzehn geschrieben. Ich kann es nicht mehr genau sagen. Die Zeit verschwimmt. Aber das ist schon echt alt. Das meiste ist jedoch aus den letzten zwei Jahren.
Wie kam es zu der Buchveröffentlichung?
Die Sterne standen einfach sehr günstig. Ich wollte ursprünglich mal, als ich mein erstes Album veröffentlicht habe, einen begleitenden Gedichtband dazu veröffentlichen. Das wurde mir damals aber Management-seitig verboten. (lacht) Zum Glück, weil ich finde, der jetzige Zeitpunkt passt besser. Die Idee kam vom Verlag Ullstein. Ich musste mir aber erstmals durchs Schreiben bewusst werden, was ich überhaupt schreiben möchte. Außerdem hatte ich Zeit, da es sich neben der Albumproduktion von „Exit Strategy“ abspielte. Wenn wir viel auf Tour gewesen wären, was wir leider nicht waren, dann hätte ich es wahrscheinlich gar nicht hingekriegt. Insofern hatte die Absenz der Konzerte auch irgendwie etwas Positives – zumindest für das Buch.
Im Rolling-Stone-Interview sagtest du: „Ich schreibe oft Sachen, bei denen ich erst danach verstehe, warum ich sie geschrieben habe.“ Ist das Schreiben für dich eine Art Selbstreflexion?
Bestimmt. Es ist auf jeden Fall mein emotionaler Mülleimer. Ich bin niemand, der fürchterlich gerne mit Freund:innen über Probleme spricht. Anreißen womöglich ja, aber so tief eintauchen wahrscheinlich nein. Ich finde es immer ganz schön, wenn man aus Unmut – das ist jetzt nicht meine einzige Motivation – auch irgendetwas machen kann, was andere Leute als unterhaltsam begreifen. Insofern ist Musik, Schreiben und sich kreativ betätigen halt schon immer das gewesen, was sich für mich als am sinnvollsten aufgezeigt hat. Ich weiß auch sonst nicht wirklich, wohin mit meiner Zeit. Ich versuche natürlich auch seit fast zehn Jahren richtiger Arbeit, so gut ich kann, aus dem Weg zu gehen. (lacht) Schreiben – ob das jetzt Songtexte sind oder Buchgedichte, Kurzgeschichten, Texte oder whatever – macht mir halt Spaß. Da fühle ich mich einfach wohl.
Ich habe das Buch tatsächlich innerhalb von zwei Tagen verschlungen …
So muss es aber auch sein. Dazu kann ich dir etwas sagen: Obwohl ich sehr gerne lese, bin ich extrem lesefaul und ich bin mir sicher, dass das auch noch mal amplifiziert wurde durch die Art und Weise, wie Apps like TikTok Informationen mehr und mehr auf extrem kleine Fitzelchen komprimieren. Dem wollte ich dann doch irgendwie wieder entgegenkommen, indem ich ein Buch schreibe, das nicht zusammenhängt. Ich finde es cool, wenn ich etwas lese, aber es auch sofort weglegen kann, wenn es an der Tür klingelt. Ich habe etwas geschaffen, was man fast episodisch wahrnehmen kann. Wie eine kleine Wundertüte an Texten.
Hast du deshalb keinen Roman geschrieben?
Ja. Wenn ich irgendwann das Gefühl habe, einen Roman schreiben zu können oder zu müssen, dann werde ich mich dransetzen und in Klausur gehen und versuchen, es besten Gewissens umzusetzen. Aber jetzt gerade in meiner individuellen Lebenssituation hat sich das nicht richtig angefühlt. Zumal ich finde, dass dieses „Musiker schreibt Buch“ auch immer einen bitteren Beigeschmack hat. Das ist ähnlich wie „Schauspieler hat Band“ – obwohl es die geilste Band der Welt sein könnte, ist man trotzdem kritisch. Da es ein erster Gehversuch ist, wollte ich nicht gleich mit einem Roman um die Ecke kommen.
Weshalb hast du dich für den Buchtitel „Doch“ entschieden?
Ich mag es gern, weil es etwas sehr einzigartiges in der deutschen Sprache ist. Das Wort hat eine Konnotation von: Ich habe recht und du nicht. Im Englischen gibt es so etwas zum Beispiel gar nicht. Da gibt es nur „Yes“ oder „No“. Bei uns gibt es halt: „Ja“, „Nein“, „Doch“. Es ist zwar ein sehr kurzes, aber auch starkes Wort. Und es lässt sich sehr gut auf ein Cover drucken. Ein guter Titel ist immer wichtig. Ich trage ihn schon seit fucking Jahren mit mir rum. Ich wollte so auch mal eine Band nennen. Ich finde, da muss nicht immer etwas Tiefgründiges zugrunde liegen, was sich im Inhalt widerspiegelt. Manchmal ist ein geiles Wort auch einfach ein geiles Wort. Ursprünglich sollte das Buch „Knight Rider oder Himbeer-Toni“ heißen. Dann habe ich herausgefunden, dass es ein anderes Buch gibt, das ähnlich heißt. Ich finde, „Doch“ klingt ziemlich schmissig.
Warum hast du „Doch“ nicht als Max Gruber veröffentlicht? Die Texte spiegeln doch dein persönliches Seelenleben wieder …
Das denkst du! (lacht) Ich finde, das Buch ist eine große Lüge, gespickt mit ein kleines bisschen Wahrheit. Das ist ja auch das Schöne am Schreiben, wenn du deine Geschichte nicht weitererzählen möchtest, kannst du einfach eine andere erzählen. Man mischt es zu einer neuen Wahrheit. Der Grund, warum ich es unter Drangsal veröffentlich habe, ist ähnlich dazu, warum das Buch „Doch“ heißt, denn es klingt besser. Warum sollte ich das auch machen? Es ist eben mein Künstlername. Als ich jünger war, habe ich mir sehr lange gewünscht, irgendwann so einen Namen wie Domian oder Morrissey zu haben. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass ich unter dem Namen drei Alben veröffentlicht habe, die mehr oder weniger rezipiert wurden. Wenn man in den Buchladen geht und einen Namen liest, von dem man noch gar nichts gehört hat versus Drangsal, dann kann das ja nur zuträglich sein. I hope! (lacht) Vielleicht auch nicht. Aber in der Hoffnung, dass es zwei Bücher mehr verkauft, habe ich das gemacht. Spaß!
Das Kapitel „Schule“ behandelt deinen Status als Außenseiter. Bist du deshalb zum extrovertierten Typ geworden?
Ich glaube ja, aber auch immer ein bisschen aus Selbstschutz. Extrovertiert würde ich es aber nicht nennen. Ich war schon immer aufdringlich und laut. Ich glaube, dass ich auch heute noch eine Show abziehe, um mich vor Leuten zu schützen oder mich ihrem Urteil zu entziehen. Das hat schon immer mit einer Angst zu tun, dass jemand einem zu nahe treten könnte. Ich habe mich damals gegenüber vielen Leuten fürchterlich beschissen verhalten und ich hoffe, dass … Ich weiß gar nicht, was ich hoffe. Ich habe eigentlich mit niemanden mehr Kontakt aus meiner Schulzeit. Ich verübel es niemandem, der meiner damaligen Version noch übel nachredet. Ich glaube aber, sie interessieren sich auch gar nicht mehr für mich. They moved on with their lives.
„Dieses ,Musiker schreibt Buch‘ hat auch immer einen bitteren Beigeschmack“
Früher dachtest du auch, du müsstest als Künstler edgy wie etwa Morrissey sein. Wie konntest du dieses Denken ablegen? Laut Social-Media-Kommentarspalten lieben dich die Leute…
Ich glaube, dass mich viele Leute trotzdem noch unsympathisch finden. Das sind wahrscheinlich Menschen, die nicht so ein Mitteilungsbedürfnis haben oder es woanders kundtun. Ich bin zum Beispiel nicht auf Twitter. Vielleicht hassen mich alle auf Twitter. I don’t know. Ich wollte echt immer gemocht werden und hatte zeitgleich Angst, dass mir jemand zu nahe kommt und merkt, dass ich ein Depp bin. Dann ist es halt einfach, sich eine Fassade anzuschaffen von jemandem, der aneckt, weil du dann weißt, was du in den Leuten auslöst und wenn es halt nur Abscheu ist. Du hast die Kontrolle darüber, wie die Leute dich finden. Du kannst natürlich auch exorbitant freundlich zu jemandem sein und er sagt trotzdem, dass du ein Trottel bist. Wenn du ein Arsch bist und die Leute dann behaupten, du seist ein Arsch, dann ist es controlled. Meine Extrovertiertheit, Edgyness, Coolness und Provokation war immer total leer. Hauptsache so eklig wie möglich… Das Älter und Reifer werden ist ein Prozess, der bei mir fürchterlich lange gedauert hat und ich blicke nicht sehr wohlwollend auf alte Interviews zurück. Aber den Schuh habe ich mir angezogen, deshalb gehe ich den Weg auch zu Ende. Wer ich war und wer ich jetzt bin, beschäftigt mich schon.
Im gleichen Kapitel erinnerst du dich an deinen damaligen „Partner in Crime“. Was denkst du, wie er dich in Erinnerung trägt?
Ich habe immer eine romantisierte Vorstellung von vielen Dingen. Das liegt oftmals daran, dass die Realität ziemlich trist ist. Ich weiß nicht, ob er sich erinnert. Maybe. Aber auch diese Frage stelle ich mir ja selbst in dem Text, ob er halt hin und wieder einen Gedanken an mich verschwendet oder nicht.
Du hast gerade schon das Kapitel „Knight Rider oder Himbeer-Toni“ angesprochen. Da sprichst du über deinen Vater, den du als sehr hypermaskulinen Typ beschreibst. Wie hat er dein Männlichkeitsbild geprägt?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich würde sagen positiv wie negativ. Ich hatte immer das Gefühl, mich abkapseln zu müssen von meinen Eltern – vielleicht war das auch eine Teenagerrebellion. Ich bewundere meinen Vater aber schon sehr. Die schlechtesten Angewohnheiten meines Vaters sind auch seine besten. Alles, was ihn super macht, macht ihn auch schlimm. Das ist auch dieser Zwiespalt, aus dem heraus ich diesen Text formuliert habe. Um für andere begreifbar zu machen, was man erlebt hat, ist es für mich nicht immer zuträglich, einfach alles so aufzuschreiben, wie es passiert ist. Das bewegt sich ja alles auf einem sehr merkwürdigen Interim zwischen Fakt und Fiktion.
In „Kündigung“ erzählst du, dass du dem Wahnsinn gerade so noch von der Schippe gesprungen bist …
I guess so. Oder das ist eine einzig große Psychose und ich bilde mir das alles nur ein ..?
Wie pflegst du deine Psyche?
Ich verbringe extrem viel Zeit alleine. (lacht) Mir hilft auch so Basic-Shit wie Baden, Filme schauen, Bücher lesen, Songs hören, Texte schreiben, meine Wohnung aufräumen. Ich fange auch bald eine Therapie an. Bis man irgendwo unterkommt, ist es immer ein sehr steiniger Weg. Wenn ich wirklich merke, ich komme nicht mehr weiter, dann rede ich auch mal mit jemand anderem darüber. Aber das ist echt der letzte Notnagel.
In deinem Diffus-Interview mit Bill Kaulitz sagtest du, dass du nicht für immer Musiker sein wirst. Könntest du dir vorstellen, hauptberuflich Autor zu sein?
Ja schon, aber erst mal mache ich noch ein Album. Das lasse ich mir nicht nehmen. Ich mache mir selten Gedanken darüber, was in der Zukunft passiert. Ich denke, dass ich mit 60 nicht mehr mit Clownsschminke und bunten Anzügen ein Kaspertheater mache. But who the fuck knows? Hoffentlich, wenn ich möchte, darf ich noch. Aber wenn ich nicht möchte, hoffe ich, dass ich dann nicht mehr muss.
Fotos Gerald von Foris