Fatih Çevikkollu
16. März, 19 Uhr / Lessingtheater (WF)
lessingtheater-wf.de
Der Godfatih of Kabarett Fatih Çevikkollu kommt mit dem populären Format „Kanaken und Kartoffeln“ am 16. März ins Lessingtheater Wolfenbüttel.
In Zeiten, in denen alles irgendwie aus dem Ruder zu laufen scheint, sind es vor allem die wenigen, aber umso wichtigeren Stimmen scharfsinniger Satiriker:innen, Komiker:innen und Kabarettist:innen, die dieses gegenwärtige Gefühlschaos, die Empörung über Zeitgeschehen, Gesellschaft und Politik mit der genau richtigen Portion Humor auf den Punkt bringen. Der kölsche Jung Fatih Çevikkollu ist einer dieser Stimmen, die einen im ersten Moment zum Lachen bringen und noch während die Worte in der Luft liegen zum Nachdenken anregen – herzlich willkommen zum Perspektivwechsel! Für den Kabarettisten mit türkischen Wurzeln gibt es keine Tabuthemen – im Gegenteil: Seine Zunge wird von Programm zu Programm spitzer. Er lässt kein Haar an Erdoğan oder der CDU und entschärft vor seinem eher deutsch-deutschen Publikum so schonungslos Vorurteile, dass man Schweißausbrüche bekommt. Im März kommt er als Moderator des in Köln bereits sehr populären Formats „Kanaken und Kartoffeln“ ins Lessingtheater Wolfenbüttel. Dabei hat er mit Idil Baydar und Benaissa Lamroubal gleich zwei hochkarätige Comedians mit „Migrationsvordergrund“ im Gepäck. Anlässlich des besonderen Kabarett-Abends haben wir mit Fatih über Birkenstocks, Ausländer-Comedy und sein liebstes Kartoffelgericht gesprochen.
Fatih, woran arbeitest du aktuell?
Da ich zurzeit wirklich viel Zeit habe, sitze ich zu Hause an meinem Schreibtisch oder laufe durch die Wohnung und denke und schreibe an einem Buch. Im besten Falle werde ich das im Sommer abgeben können und schreibe dann mein nächstes Programm. Das soll am 28. Oktober 2022 Premiere im Gloria in Köln haben. Was ich verraten kann ist, wie das neue Programm heißen wird: „Zoom“.
Wie verläuft die Arbeit bei dir – zu Hause am Schreibtisch oder mit Laptop im Café?
Die Arbeit teilt sich in zwei Bereiche auf. Es gibt den einen ruhigen, stillen Moment am Schreibtisch, wo ich sitze und vor mich hindenke und schreibe – das ist die eine Hälfte. Die andere Hälfte – und die ist noch viel Wichtige – ist der Moment, wenn ich das Geschriebene auf der Bühne ausprobiere und merke, es funktioniert richtig gut oder eben überhaupt nicht. Wenn Letzteres der Fall ist, ist es gar nicht mal so schön.
Deine Karriere ging von der Musik über die Schauspielerei bis zum Kabarett. Was hat dich dazu bewegt, dich immer wieder neu zu erfinden und welche Richtung könntest du dir in Zukunft noch vorstellen?
Als Erstes habe ich Musik gemacht, genauer Texte geschrieben und eine Hip-Hop-Platte rausgebracht, das war 1996. Schauspiel kam danach und auch Schauspiel als berufliche Perspektive. Ich konnte eine Ausbildung machen und nach den Jahren am Stadttheater merkte ich, dass mich das gar nicht so befriedigt und traute mich dann, anfangs sehr ängstlich, alleine auf die Bühne zu gehen und eigene Geschichten zu erzählen, das hat dann zum Glück gut funktioniert. Die Erfahrung, als Autor ein Buch zu schreiben, gefällt mir auch, ich kann mir vorstellen, mehr zu schreiben. Eigentlich entwickelt sich der Weg über die Interessen und die können sich ja im Laufe der Zeit verschieben, ich bin selber gespannt, wie es wird.
Fatih, warum die Birkenstocks auf der Bühne?
Das hat sich so ergeben. Ich habe einmal auf Tour meine Schuhe vergessen und es war Sommer bei einer Open Air-Veranstaltung. Ich hatte nur meine Sandalen dabei und musste mit denen auftreten. Dabei bemerkte ich zwei Dinge: Erstens, wie angenehm es mit Sandalen auf der Bühne ist und zweitens, dass das Publikum stark darauf reagiert. Ein Zuschauer in der ersten Reihe meinte: „Hey, heiße Latschen“ Ich meinte: „Hey, heiße Fatih!“ und wir waren sofort Freunde…
Wer und wie ist dein Publikum?
Mein Publikum ist zu 95 Prozent deutsch-deutsch und eher älter, circa 35 aufwärts. Deutsch-Türken, stelle ich immer wieder fest, kommen sehr wenig bis gar nicht in mein Programm. Woran das liegt, kann ich nur vermuten, wahrscheinlich denken sie sich, einen lustigen Türken hab ich selbst zu Hause. Ich glaube, die Wahrheit liegt darin, dass ins Theater insgesamt nur fünf Prozent unserer Gesellschaft gehen und somit ist der Anteil derer darunter, die eine internationale Biografie haben, entsprechend klein.
Du hast bei der Fachtagung „Glocal Islamism 2019“ gesprochen. Wie war das für dich, so ernst und quasi ohne Comedy zu sprechen?
Ich habe mich sehr gefreut über die Einladung. Die Herausforderung bestand darin, dass viele der Teilnehmer nicht deutschsprachig waren und mein Text ins Englische übersetzt werden musste. Während ich sprach, saßen vor mir Menschen aus aller Herren Ländern mit Kopfhörern und lauschten der englischen Übersetzung des auf Deutsch Gesagten. Dass da schon aus technischer Sicht ein Timing-Problem entsteht, liegt auf der Hand. Bei den Themen, die ich bespreche, steht der Witz aber gar nicht im Vordergrund, sondern das Thema muss interessant und relevant sein. Dass es dann witzig wird, ist im Grunde genommen ein Abfallprodukt. In erster Linie soll es interessant sein.
Du wirkst dort wie ein Dozent – hast du mal darüber nachgedacht, an Hochschulen zu lehren?
Man soll niemals nie sagen, aber gegenwärtig interessiert mich das wirklich nicht. Ich finde es sehr angenehm und reizvoll, auf der Bühne zu stehen und frei zu reden über Gedanken, die mir durch den Kopf gehen und Geschichten zu erzählen. Als Dozent hätte ich diese Freiheit wahrscheinlich gar nicht.
Wo und wie informierst du dich über aktuelles Zeitgeschehen?
Ich lese gern, lese Zeitungen und Bücher, ich höre gerne den Deutschlandfunk und unterhalte mich mit Freunden. Podcasts finde ich auch total spannend und über das Internet ganz generell kann man sich gut informieren.
Meinst du, viele unserer gesamtgesellschaftlichen und politischen Probleme wurzeln darin, dass die Menschen sich nicht richtig bilden oder wichtige Themen zu oberflächlich behandeln oder schaffen sie es einfach nicht aus ihrer Comfort Zone heraus?
Ich glaube schon, dass die Verantwortung eines jeden darin besteht, sich zu informieren. Nun leben wir aber in einer Informationsgesellschaft und werden mit Informationen geradezu bombardiert. Da zu unterscheiden, was Information, was Werbung und was einfach nur Quatsch ist, ist gar nicht so einfach. Manchmal tarnt sich auch der übelste Quatsch als Information und dann wird es tragisch.
Deine interkulturelle Identität ist essenzieller Teil und Thema deiner Programme. Welche Veränderung hast du im öffentlichen Diskus und der Politik über Interkulturalität wahrgenommen?
Es hat sich alles zum Besseren entwickelt. Die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit internationaler Biografie ist deutlich höher und der Bundestag ist deutlich diverser. Das ist alles noch nicht ganz, wie es sein sollte, aber der Weg ist richtig gut und verglichen mit vor 20 Jahren ist unsere Gesellschaft deutlich offener und das finde ich großartig. Diversität wird gegenwärtig noch wie Schmuck am Nachthemd behandelt, aber diese Haltung können wir uns nicht mehr leisten.
Du baust in deinen Programmen immer wieder aktuelle Geschehnisse mit ein, kritisierst Politik und Gesellschaft zum Teil scharf. Vergeht dir in Vorbereitung auf dein Programm, wenn du dich intensiv in unsere fest verwurzelten Missstände einarbeitest, hin und wieder das Lachen?
Genau darin sehe ich ja meine Arbeit: Das Schwierige leicht zu präsentieren, das Komplexe einfach darzustellen und dabei natürlich zu unterhalten. Ich bin eben kein Dozent, ich bin Kabarettist.
In meiner Kindheit waren Formate wie „Was guckst du?!“ total angesagt. Wie ist deine Sicht auf solche „Ausländer-Comedy“? Wie produktiv ist es, wenn Ausländer-Stereotype reproduziert werden?
Das hat alles eine sehr schöne Entwicklung genommen. Schau dir an, wo wir angefangen haben und wo wir jetzt sind. Ich finde diese Entwicklung richtig gut und auch zeitgemäß, da vielfältig.
Abdelkarim zum Beispiel ist der lustigste Ostwestfale, den ich kenne oder Jilet Ayşe ist doch mal eine richtig lustige Ansage. All das wäre in Zeiten von „Was guckst du?!“ gar nicht möglich gewesen. Mal sehen, wohin die Reise noch geht.
Verstehst du dich eher als Comedian oder als Kabarettist? Was ist für dich der große Unterschied?
Diese Frage ist wirklich müßig. Das Allerwichtigste ist, dass du unterhältst, wenn du auf der Bühne stehst. Das hat schon Heiner Müller gesagt. Dann musst du entscheiden, welche Themen du ansprichst. Die sollten relevant, interessant und lustig sein. Es gibt Comedians, die das ganz gut hinkriegen wie etwa Till Reiners oder Filiz Tasdan. Ich bezeichne mich selbst als Kabarettisten, ich finde den Text zwischen den Gags auch ganz wichtig.
Was kann Kabarett deiner Meinung nach bewirken?
Kabarett kann im besten Falle unterhalten und über die Unterhaltung hinaus zum Denken anregen. Was darüber hinaus passiert, liegt nicht in der Hand der Kabarettisten. Ich glaube auch nicht, dass Kabarett Veränderungen bewirkt hat, sonst müssten hier schon die fantastischen Veränderungen eingetreten sein, bei den vielen tollen Kollegen und Kolleginnen, die seit Jahrzehnten auf dem Plan stehen. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass es vielleicht doch noch passiert…
„Darf“ man über alles Witze machen?
Man darf über alles Witze machen, es gibt kein einziges Tabuthema. Es gibt allerdings eine Regel beim Witzemachen und die lautet: Je größer das Tabu ist, das ich anspreche, desto stärker muss der Gag sein, mit dem ich die Spannung auflöse. Wenn ich das Tabu bloß der Provokation wegen anspreche und die Spannung danach unaufgelöst im Raum stehen lasse, dann ist es billige Effekthascherei. Je größer das Tabu, desto stärker der Gag, sonst peinlich.
Du bist vor vielen Jahren als erster Büttenredner mit türkischen Wurzeln beim Kölner Karneval aufgetreten. Wie kam es dazu und wie war das für dich?
Ich trat bei einer alternativen Karnevalssitzung mit dem Namen „Loss ma singe“ im Jahre 2008 auf. Ich kannte einen der Organisatoren und der hat mich gefragt. Ich hätte das nicht gemacht, wenn es nicht diese alternative Sitzung gewesen wäre, im traditionellen Karneval tue ich mich sehr schwer. Ich kann den Takt, der dort gefordert wird, nämlich jeden dritten Satz mit einem krachenden Lacher zu beenden, nicht bedienen. Bei der Sitzung, zu der ich eingeladen war, hat alles ganz gut geklappt und es war ein sehr schöner Abend.
Ist der (Kölner) Karneval typisch deutsch? Gibt es überhaupt ein „typisch deutsch“?
Der Kölner Karneval ist typisch Kölsch, da kann sich ganz Deutschland eine Scheibe davon abschneiden, das ist nicht typisch deutsch. Ich finde, typisch deutsch ist die Lust am Recht auf Empörung. Wenn der Deutsche sich beschweren kann, geht er ab wie Schmidts Katze! Und ich entdecke immer öfter den Deutschen in mir.
Was erwartet uns bei „Kanaken und Kartoffeln“?
Es wird ein sehr besonderer Abend. Auf der Bühne stehen Menschen, die in der deutschen Comedy- und Kabarettlandschaft Geschichte geschrieben haben. Benaissa ist ein Comedian der ersten Stunde von RebellComedy, ein Format, das nicht weniger als eine Revolution auf dem heimischen Markt war. Direkt daneben – nicht weniger legendär – Idil Baydar, die mit ihrer Kunstfigur Jilet Ayşe dem Publikum einen Spiegel vorhält, den es in dieser Schärfe von einer Frau noch nicht gegeben hat. Das Beste an ihrer Figur ist, dass viele Menschen eine Zeit gebraucht haben, bis sie bemerkten, dass es sich um eine Kunstfigur handelt. Kurz: Ein Abend auf der Höhe der Zeit. Ach ja, und ich moderiere ihn.
Was macht das Format für dich aus?
Was diesen Abend von anderen unterscheidet ist, dass auf der Bühne Menschen stehen, die nicht die Mehrheit in unserem Land repräsentieren, sondern die Minderheit. Und inzwischen hat es sich vielleicht schon herumgesprochen: Die Mehrheit wird kippen… Aber keine Sorge, wir werden zu euch genauso gut sein, wie ihr es zu uns wart.
Dein liebstes Kartoffel-Gericht?
Ganz klar Süßkartoffeln, in dicke Scheiben geschnitten, mit etwas Öl bestrichen, Salz drauf und in den Backofen, lecker!
Fotos Stefan Mager