Die deutschen Thrash-Metal-Legenden Kreator lassen mit dem Box-Set „Under the Guillotine“ die erste Dekade ihrer Bandgeschichte wieder aufleben.
Die Thrash-Metal-Großmeister von Kreator sind zurück – zumindest fast. Während die Edel-Metaller darauf warten, dass sich die Pandemie endlich vom Acker macht, damit sie den Weg ins Studio antreten können, überbrückt das Quartett die Wartezeit auf Liveshows und Album Nummer 14 mit etlichen Nebenprojekten. So sind die Metalheads kurioserweise auch unter die Kaffeeröster gegangen. Die Band-eigene Sorte „Black Sunrise“ ist in Kooperation mit der Berliner Firma The Barn entstanden. „Ich hätte mir 1997 nicht träumen lassen, dass ich irgendwann meinen eigenen Kaffee habe“, scherzt Miland „Mille“ Petrozza, Kreator-Mastermind und Sänger.
Doch der eigentliche Grund unseres Zoom-Interviews mit Mille ist weder das braune Gold noch ihr kommendes Album, vielmehr wollen wir zurückblicken auf die Anfänge der Band – genauer genommen auf die erste Dekade der Bandgeschichte. Anlass ist die Veröffentlichung des Box-Sets „Under the Guillotine“, das unter anderem alle Platten der Noise-Records-Jahre beinhaltet und darüber hinaus mit etlichen Fan-Zugaben auffährt. Darin enthalten: die „Some Pain Will Love“-DVD, ein 40-seitiges Fotobuch, die Neuauflage der „End of the World“-Demo- Kassette und ein USB-Stick in Form des Kreator-Dämons mit dem kompletten Audio-Inhalt.
Von null auf hundert
Besonders eingefleischten Metalfans braucht man nicht erklären, wer Kreator sind. Gemeinsam mit den Szenegrößen Destruction und Sodom gehören die Essener zu dem sogenannten Dreigestirn des deutschen Thrashs und verkauften bis heute weltweit über zwei Millionen Platten.
Der Bandursprung liegt im Jahr 1982: Einst musizierten Sänger und Gitarrist Mille, Bassist Rob und Schlagzeuger Ventor als Schülerband unter dem Namen Tyrant. Nach der Veröffentlichung zweier Demos und einer Intermezzo-Namensänderung in Tormetor kam die Band zu einem Plattenvertrag beim deutschen Independent-Label Noise Records und schließlich auch zu dem Namen, der heute als Thrash-Metal-Institution gilt.
1985 veröffentlichten die Rheinländer ihr Debütalbum „Endless Pain“ – ein perfekter Kick-Start, der mit seinem brachialen Sound nicht auf taube Ohren stieß. Die Platte schlug ein und verkaufte sich unerwartet gut. Bereits zwei Monate nach Veröffentlichung dieses Debüts präsentierte die Band ihr zweites Album „Pleasure to Kill“. „Wir waren sehr früh und sehr jung als Band einer bestimmten Art von Druck ausgesetzt“, erinnert sich Vokalist Mille, „wir hatten keine Zeit zu experimentieren, weil wir immer nur abliefern mussten.“
In den ersten fünf Jahren bei Noise Records schmissen die Newcomer auf Drängen ihrer Plattenfirma jährlich ein Album auf den Markt. Als der sechste Longplayer anstand, protestierte die Band bei ihrem Label und plädierte für mehr Zeit.
Deshalb ist „Renewal“ wohl die einschneidendste und wichtigste Platte aus der ersten Kreator-Dekade – jedenfalls dominierte dieses sechste Album unser komplettes Zoom-Interview, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt 1992 eher verhalten von der Community aufgenommen wurde. „Wir haben versucht, etwas Neues zu machen“, erzählt der heute 53-jährige Frontmann Mille, „wir waren schon immer vom amerikanischen Hardcore, Punk und Metal beeinflusst. Prong waren damals Freunde von uns und wir kannten die Leute von Pantera und Biohazard und waren ständig mit ihnen unterwegs. Wir haben gegenseitig voneinander abgeguckt. Das war damals so. Man hat sich nicht kopiert, aber schon beeinflussen lassen. Auf ‚Renewal‘ sind sehr viele Beats vertreten, die auch von einer New Yorker Hardcore-Band stammen könnten.“ Während die ersten fünf Kreator-Alben als Sturm-und-Drang-Phase zusammenschmelzen, ist „Renewal“ zwar eine kontrovers aufgenommene Scheibe, doch auch unglaublich progressiv auf kreativer Band-Ebene und für die Metal-Szene. Doch nach diesem Longplayer gab es den endgültigen Cut mit Noise Records: „Wir hatten damals schon Probleme mit dem Label, weil die Harmonie zwischen uns und dem Label-Chef nicht mehr war wie zu Beginn. Wir hatten eigentlich nie Probleme mit Karl Walterbach, aber die fingen bei ‚Renewal‘ langsam an und wir wollten definitiv raus“, erklärt Mille rückblickend und das gelang ihnen mit dem Wechsel zu Gun Records auch.
Musikalische Emanzipation
Damals wie heute sind die Songs von Kreator extrem, die Motive apokalyptisch, die Haare lang und die Videos kleine Horror-Spielfilme. Fans behaupten sogar, die Thrash-Metal-Maestros würden reifen wie guter Wein. Die Songs knallen noch immer in der Ohrmuschel, sind aber dabei melodischer geworden. Die Riffs sind nicht mehr nur rough, sondern auch rhythmisch und die Lyrics wurden zunehmend gesellschaftskritischer. Songwriter Mille versteht es, den Nagel auf den Kopf zu treffen.
In der zuletzt erschienenen Single „666 – Worlds Divided“ singt der Vokalist: „We are united, united in a world divided“. Worte, die zur aktuellen Spaltung der Gesellschaft, begünstigt durch die Corona-Pandemie, passen: Sei es die Einteilung der Berufe in systemrelevant und -irrelevant, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich oder der immer stärker werdende Rechtsruck. „Ich habe mehrere Songs über Rechtsradikalismus beziehungsweise Rassismus geschrieben. Mein Lieblingssong ist ‚People of the Lie‘. Den ziehe ich als ersten Song gegen Nazis“, gesteht der sympathische Band-Kopf.
Kein Wunder, dass Kreator auch genau die richtige Band für den Soundtrack eines Horror- Films sind, in dem Zombie-Nazis auf Haien fliegen. Die Rede ist natürlich vom Trash-Spektakel „Sky Sharks“. Ein Film des Braunschweiger Regisseurs Marc Fehse, der nach fast acht Jahren und nach etlichen Verschiebungen voraussichtlich am 18. März in den Kinos startet. „Als das losging mit der Planung hat mich Filmproduzent Yazid angesprochen und gefragt, ob ich nicht Bock hätte, einen Song zu schreiben“, erläutert die Metallegende, „Yazid hatte die Idee, ich solle den Song ‚Sky Sharks‘ nennen. Das habe ich aber verworfen, da sich das nicht gut sang. Wir sind aber auf dem Soundtrack vertreten. Ich freue mich unglaublich, den Film endlich zu sehen. Die Leute scheinen mit sehr viel Herzblut bei der Sache zu sein. Ich denke, der Film wird ein totaler Knaller werden“ – so wie wahrscheinlich auch das geplante Album der Metal-Superstars.
Zehn Songs sind fertig geschrieben und bereit, im Studio aufgenommen zu werden. „Wir haben schon den Produzenten ausgesucht und eigentlich ist alles da“, offenbart Mille, doch erst müsse sich die aktuelle Corona-Situation ändern, so der Sänger weiter: „Ich möchte kein Album veröffentlichen, wenn ich nicht damit auf Tour gehen kann. Gerade unsere Musik lebt davon, dass man ein Album zwar rausbringt, aber zelebriert wird es im Konzert.“ Das nächste Kreator-Brett wird kommen und dann kann wieder gemeinsam gemosht werden.
Fotos BMG