Paula Carolinas Debütalbum EXTRA erscheint am 27. September, anschließend spielt sie mit ihrer Band etliche Stopps auf der „Willkommen in der Realität Tour“, die am 27. Oktober auch Halt in Hannover macht.
Manchmal geht es dann ganz fix. Erst kommt mit „Schreien“ einer der alternativen Hits 2023, dann die EP und zack, spielte Paula mit ihrer Band Supports für Bruckner, Kraftklub, OK Kid oder Blond. Seitdem ist der Tourtross ziemlich in Fahrt geblieben, nebenbei enstand ein Album (Review übrigens auf Seite: 19) Im SUBWAY-Interview spricht die Nachwuchsgröße des neuen deutschen Welle Revivals über das Leben auf Tour, kontroverse Zeilen und ihre Musik-Sozialisation.
Du bist viel auf Achse, wo bist du Zuhause?
Ich habe den Wunsch nach einem festen Zuhause gerade erst mal aufgegeben. Wenn ich irgendwo wohne, fällt mir sowieso schnell die Decke auf den Kopf und ich will wieder weg. In letzter Zeit fahre ich oft in die Natur, oder besuche wichtige Menschen, wie Familie und Freunde. Ein festes Zuhause in einer Stadt fühlt sich für mich nicht richtig an. Mein Zuhause ist da, wo ich mein Kopfkissen mit hinnehme, aber eigentlich sind es die Menschen, die mir wichtig sind. In meinen letzten Wohnungen in Mannheim und Berlin war ich am Ende kaum noch wirklich, da hab ich dann auch keinen Bock Miete zu zahlen und Wohnraum zu blockieren, deswegen habe ich die letztlich auch gekündigt.
Seit wann hast du so einen Tour-Rhythmus, der so ist, wie jetzt?
Letztes Jahr haben wir knapp 80 Konzerte gespielt, dieses Jahr etwa 70. Ab Februar 2023 waren wir fast durchgehend auf Tour bis Dezember. Danach hatten wir eine Woche bei der Familie und sind dann ans Meer gefahren, um das Album zu schreiben. Die ersten drei, vier Jahre sind oft intensiv mit Touren und Albumproduktion. Viele Bands und Solo-Artists, mit denen ich spreche, erleben das genauso. Nach dieser Zeit kann man sich eventuell längere Pausen leisten, bevor die nächste Tour startet.
Auf deinem Debütalbum ist der Song “Willkommen in der Realität” mit der Textzeile “Bin ich depressiv oder nur im Trend?”. Ist das selbstreferenziell? Wie ist die Zeile gemeint?
In meinen Texten spiegelt sich immer etwas aus meinem Leben wider, sei es direkt oder indirekt. Man sollte nicht alles wörtlich nehmen, aber hinter jeder Zeile steckt eine Geschichte oder eine Person aus meinem Umfeld, die mich beschäftigt hat. Die Zeile “Bin ich depressiv oder nur im Trend?” fand ich provokant, aber wichtig. Sie soll Depressionen nicht verharmlosen – ich nehme das Thema sehr ernst und kenne viele Betroffene. Ich beobachte jedoch, dass Depressionen auf Social Media oft zum Trend gemacht werden. Junge Leute teilen suizidale Gedanken, um viral zu gehen, und manche Künstler:innen profitieren davon. Diese Entwicklung kritisiere ich, ohne zu wissen, wie es besser geht. Es ist schwer zu unterscheiden, ob jemand wirklich leidet oder nur Aufmerksamkeit sucht. Diese Zeile reflektiert meine Beobachtungen und die Unsicherheit, die damit einhergeht. Ich glaube, wir sollten lieber miteinander reden, anstatt daraus Profit im Internet schlagen zu wollen.
Verstehen das alle?
Es ist ein schmaler Grad. Ich hoffe, dass diejenigen, die unsere Musik hören und die Interviews lesen, meine Texte im besten Sinne interpretieren. Meine provokanten Lines können leicht fehlinterpretiert werden, was erklärt, warum wir Berge an Hasskommentaren kriegen. Aber es gibt auch viele positive Reaktionen von Menschen, die das einfängt, die dann drüber nachdenken und in den Austausch mit mir gehen wollen.
Es gibt ja auch noch eine Line im Song „Es zieht im Paradies“: „ja, alles ist gut, solange du woke bist.“ Finden sicher auch einige schwierig dieses Buzzword…
Erstmal ist das natürlich eine Anspielung auf die wilden Kerle – „Alles ist gut, solange du wild bist.“ Die Line bezieht sich noch auf meine Berlin-Zeit. Da war ich extrem angepisst auf diese 7-Euro-Iced-Matcha-Latte-Leute, ich sag‘s wie‘s ist. Mich hat‘s genervt in der Zeit, weil ich bin morgens los und wollte ein Brot kaufen und hab dafür 9 Euro gezahlt im Kollwitz-Kies. Und das hat einfach extrem gut gepasst. Ist übrigens auch ein Hint auf den Closer „Alles wieder gut“, die Line. Ich zitiere aus meinem eigenen Song.
Du gehst also auch ein bisschen mit der mehrheitlich eher links-alternativen Musik-Bubble ins Gericht?
Jede weiße Hetero- und Cis-Indie-Band hat mittlerweile einen Song über Queerness, auch wenn sie das in ihren Leben eigentlich nicht betrifft. Es ist einfach eine Welt, wo du mit allem versuchst, im Trend zu sein. Und das ist vor allem mit Wokeness mittlerweile so. Du kannst nicht mehr auf dem Pangea-Festival spielen, wenn du nicht einen queeren Song hast. Das heißt nicht, dass ich es nicht gut finde, sich dafür einzusetzen, nur sehe ich oft, dass mittlerweile fast jeder einen politischen Song im Set hat, um allen das Gefühl zu geben: ‚hey, wir sind alle eins‘, aber niemand weiß in dem Moment genau, für was sie eigentlich stehen. Hauptsache, sie stehen. Und das ist einfach eine Welt, die mich manchmal ein bisschen nervt. Ich finde es einerseits gut, wenn sich Künstler:innen und Leute in der Öffentlichkeit positionieren, aber sie positionieren sich eigentlich selten wirklich. Sie sagen bloß einfach, wir sind auch dabei. So, ja, jetzt demonstrieren 150.000 Leute in Berlin für eine gute Sache. Ja, da spiele ich ein Konzert, denn das ist ja marketingmäßig auch eine schlaue Idee. Und wir sind die Brandmauer. Wofür stehen wir eigentlich? Keine Ahnung. Aber ich spiele jetzt trotzdem mal vier Songs mit meiner Akustik-Gitarre.
Was hast du früher für Musik gehört? Was sind deine drei Bands, die deine DNA ausmachen?
Ich habe nicht wirklich drei feste Bands oder so und hab auch echt viel zu spät angefangen, die Musik zu hören, die ich mittlerweile feiere. Früher habe ich viel Klassik und Big-Band-Musik gehört, Nora Jones oder auch Philipp Poisel. Erst später habe ich – vor allem durch meinen Gitarristen – Bands wie Queen entdeckt, die da gar nicht auf meinem Radar waren. Dann kamen da sehr schnell weitere in mein Leben, die mich und meine Musik sehr geprägt haben: Die Ärzte, Kraftklub, Ideal, Nena mit ihren geilen Hooks. Gerade höre ich wieder extrem viel Fettes Brot, weil die einfach kranke Texte haben.
Was hast du mit Marti Fischer zu tun?
Marti Fischer hat alle unsere Remixe gemacht, bis auf einen von Großstadtgeflüster. Wir haben uns kennengelernt, als ich Vorband von FewJar war, einer Berliner Band aus dem YouTube-Umfeld von Marti, der ein wichtiger Teil ihres Freundeskreises ist. Wir haben festgestellt, dass wir beide sehr extrovertiert sind und viel Spaß zusammen haben und musikalisch passt das auch sehr gut. Er ist ein ganz toller und inspirierender Mensch. Wenn ich Fragen zum Leben und Kreativsein habe, hat er sehr viele Antworten darauf.
Bist du noch in deiner Heimatstadt Hannover manchmal?
Ich komme auf meiner Tour am 27.10. ins Hannoveraner Musikzentrum. Ich habe 14 Jahre in Hannover gelebt und viele wichtige Menschen dort. Leider bin ich zu selten da, aber wenn ich vorbeifahre, sage ich mal Hallo. Die Person, mit der ich die meisten Musikvideos drehe, ist auch in Hannover. Das Musikvideo zu „Das Ende“ haben wir in Hannover-Mitte gefilmt.
Was sind die Sachen, die du jetzt in Angriff nimmst?
Meine 22-Stopps-in-30-Tagen-Hardcore-Tour steht an im Oktober und ich freue mich riesig darauf. Wir bereiten gerade alles vor, inklusive verrückter und unerwarteter Bühnenelemente. Einige Metallkonstruktionen müssen noch gebaut und geschweißt werden. Es wird eine Tour, an die wir uns immer erinnern werden, unsere erste richtig große Tour und da wollen wir dem Ganzen natürlich künstlerisch gerecht werden.
Foto Eric Joel Nagel