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„Man sollte bei Wenders an Lustig denken.“

Regie-Maestro Wim Wenders zu „Perfect Days“

Zwei Filme auf einen Streich in Cannes – das hat vor ihm noch keiner geschafft. Neben der Künstlerbiografie „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ in 3-D präsentierte Wim Wenders (78) auch „Perfect Days“, eine Hommage an die Toiletten von Tokio. Die sind von führenden Architekten entworfen. Und absolut kein Vergleich mit hiesigen Klos. Erzählt wird die Geschichte eines bescheidenen Toiletten-Mannes, der ausgesprochen glücklich mit seinem minimalistischen Leben zu sein scheint. Ein paar Bücher, ein bisschen Musik aus dem Kassettenrekorder und die Erfüllung bei der Arbeit. Nach „Paris, Texas“ hätte Wenders für diesen perfekten Film eine zweite Goldene Palme absolut verdient. Die Frauenquote machte einen Strich durch die Rechnung. Immerhin wurde Hauptdarsteller Koji Yakusho für seine grandiose Leistung prämiert. Beim Oscar dürfte es für Wenders dann hoffentlich klappen – nominiert nicht von der deutschen Förderbürokratie, sondern von Japan – auch das hat vor ihm noch keiner geschafft. Mit dem Regisseur unterhielt sich Dieter Oßwald.

Herr Wenders, in der Szene im Schallplattengeschäft gibt es einen Statisten, der aussieht wie Wim Wenders. Falls Sie es tatsächlich sind, wäre das Ihr erster Cameo-Auftritt?
Ich bin es tatsächlich, allerdings ist dies nicht mein erster Cameo-Auftritt. Es gibt ein gutes Dutzend solcher Gastauftritte von mir in meinen Filmen. Aber die sind alle dezent, man verpasst mich auch immer ganz schnell. Im Schallplattengeschäft hatten wir nur drei Statisten. Auf der rechten Seite im Bild fehlte jemand, deswegen habe ich mich selbst dort hingestellt. Ich habe mich da sehr wohlgefühlt, in diesem ganz wunderbaren Laden mit Schalllatten und sogar Kassetten.

In einer anderen Szene, in einem Badehaus, steht ein älterer Besucher auf. Und ihm klebt beim Aufstehen der Stuhl am nackten Hintern. War das schöner Zufall oder inszeniert?
Wir haben diese Einstellung, wie so viele, nur einmal gedreht. Ob beim zweiten Mal der Hocker auch geklebt hätte, bleibt Spekulation.

Komik spielt in Ihren Filmen gemeinhin keine so große Rolle. Dieses Mal gibt es einiges zu lachen. Muss man bei Wenders fortan auch an lustig denken?
Man sollte bei Wenders durchaus an Lustig denken, so heißt mein Kameramann mit Nachnamen. Bei diesem Projekt hatte ich einen sehr großen Spielraum, weil mir niemand über die Schulter geschaut hat. Bei so viel Freiheit hat es Spaß gemacht, hin und wieder auch ein bisschen was Komisches einfließen zu lassen.

In der Schluss-Sequenz schaut Ihr Darsteller Koji Yakusho einen ganzen Song lang in die Kamera und spiegelt in seinem Gesicht ganze Gefühlswelten. Wie hieß dabei Ihre Regieanweisung?
Die Szene stand so im Drehbuch: Hirayama hört den Song „Feeling Good“ von Nina Simone in seiner ganzen Länge und hört ihm dabei genau zu. Der ganze Text stand ebenfalls im Skript, übersetzt auf japanisch. Koji Yakusho wusste also sehr genau, worum es in diesem Lied geht. Und er wusste, weshalb ich dabei mit der Kamera auf seinem Gesicht bleiben wollte. Ihm war auch völlig klar, dass diese Szene die letzte Einstellung des Films sein würde. Er wusste, es ging um alles! (lacht)

Wie oft haben Sie diese Szene gedreht?
Diese Szene haben wir zweimal gedreht. Beim ersten Mal von der Seite, mit Kameramann Franz Lustig neben ihm. Das war eigentlich nur für den Anfang, als er die Kassette einlegt, aber wir haben das trotzdem in ganzer Länge gedreht. Ich saß hinten im Auto mit dem Monitor auf dem Schoß. Und Hirayama war gewaltig! Aber wie ich einmal auf den Franz rübergucke, sehe ich, dass der hinter der Kamera Rotz und Tränen heult. Ich habe nur noch gebetet, dass Franz durchhält! Das zweite Mal von vorn haben wir nicht im fahrenden Auto gedreht, sondern auf einem Parkplatz vor einem Greenscreen. Koji Yakusho wusste, dass dies jetzt endgültig die letzte Aufnahme des Films war und hat nochmal alles gegeben. Da hat dann nicht nur Franz geheult, sondern ich auch. So was hatte ich noch nie gesehen, wie einer gleichzeitig weint und lacht.

Die Frage liegt nahe, ob man mit diesem glücklichen Klo-Putzer und seinem minimalistischen Leben vielleicht tauschen wollte. Wie wäre Ihre Antwort?
Die Frage ist gerechtfertigt. Meine Antwort wäre: lieber heute als morgen. Aber wenn, dann würde ich mit meiner Frau Donata einziehen wollen. Da bräuchte man also einen Doppel-Futon (lacht). Mit meinem Kameramann Franz Lustig habe ich vor dem ersten Drehtag im Schlafsack eine Nacht in dieser kleinen Wohnung zugebracht. Um vier Uhr früh sind wir aufgestanden, um zu sehen, wie sich das Licht in dem Raum verändert. Das haben wir den ganzen Tag lang beobachtet. Ich kann also behaupten, dass ich dort gerne wohnen würde. Eine sehr verlockende Vorstellung!

Wäre „Perfect Days“ nicht auch ein schöner Film für den Papst?
Der Papst geht nicht ins Kino. Auf meine damalige Frage, welchen Film er zuletzt gesehen hätte, meinte er „Das Wunder von Mailand“ – und der ist von 1951. „Perfect Days“ würde dem Papst aber bestimmt gefallen, da bin ich ganz sicher.
Wie hätte Lou Reed Ihr Film gefallen, der seinen berühmten Song zum Titel macht?
Laurie Anderson, seine Witwe, hat den Film sehr geliebt. Auch Lou hätte der Film sicher gefallen, er hatte eine große Affinität zu japanischem Kampfsport und japanischer Spiritualität.

Japan übt für viele Menschen eine Faszination aus. Neben den Toiletten von Star-Architekten zeigen Sie eine Vorstadt, die eher trist als eindrucksvoll wirkt…
Tokio ist an einigen Stellen wie Science-Fiction von vorgestern. Für die Olympischen Spiele 1964 wurden z.B. diese dreistöckigen Highways gebaut, um die Verkehrsprobleme zu lösen. Damit kommt man nach wie vor recht zügig durch die Stadt. Aber man will dort natürlich nicht wohnen, wenn die Autos im dritten Stock am Fenster vorbei fahren. Bei meinem ersten Besuch 1977 hatte mich das noch wahnsinnig beeindruckt. Aber Beton wird eben auch alt. Diese Gegend ist der Gegenpol zu den eindrucksvollen Toiletten der Star-Architekten, die sich alle im Vergnügungsviertel Shibuya befinden.

Wie fühlt man sich auf so einer Toilette eines Star-Architekten?
Man fühlt sich sehr gut aufgehoben. Man fühlt sich willkommen. Es ist wirklich sauber. Die Toilette ist beheizt. Und man kann sich aussuchen, mit welcher Art von Spülung man sich säubern möchte. Papier benötigt man lediglich zum Trocknen – und daran kann man sich tatsächlich unglaublich gewöhnen. Wenn man zurück in Deutschland ist, denkt man: Weshalb haben wir so etwas bei uns denn nicht!

Ihr Film wurde von Japan für den Oscar nominiert. Wie erlebt man diese seltene Ehre?
Was soll ich dazu sagen? Es gibt dazu keinen Präzedenzfall. Ich habe nicht geglaubt, dass das möglich wäre. Ich habe es dann verstanden, weil ich verstanden habe, welch große Liebe die Japaner zu ihrem Koji Yakusho haben. Das ist ihr Peter Falk, Robert de Niro und Brad Pitt in einem. Als er in Cannes den Schauspielpreis gewann, wurde das Fernsehprogramm unterbrochen. Bei seiner Rückkehr wurde Koji Yakusho von Tausenden Leuten am Flughafen empfangen. Er wird als Schauspieler sehr verehrt – deswegen bin ich mit „Perfect Days“ für Japan im Oscar-Rennen.

Ihr Film ist dem japanischen Regisseur Yasujiro Ozu gewidmet. Welche Aspekte seiner Arbeit haben Sie am nachhaltigsten beeinflusst?
Das Gefühl, das alle seine Filme durchdringt: dass jeder Mensch einmalig ist, dass jeder Moment nur einmal geschieht. Die Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge und das Wissen, dass die alltäglichen Geschichten die einzigen von Dauer sind.

Fotos 2023 MASTER MIND Ltd, Donata Wenders

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Dieter Osswald

Geschrieben von Dieter Osswald

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