The Tower
in

Eine Welt unendlicher Möglichkeiten – BIFF

Termine
6. bis 12. November:
Braunschweig International Film Festival
filmfest-braunschweig.de

Kunst statt Kinderkram: Mit dem diesjährigen Schwerpunktthema ‚Animationsfilm‘ möchte das Braunschweig International Film Festival mit Klischees brechen.

 

Der November rückt immer näher, kühl-feuchtes Schmuddelwetter inklusive. Dass das dennoch ein absoluter Grund zur Freude ist, liegt einzig und allein am 37. Braunschweig International Film Festival (BIFF). Das wird unser aller Gemüter erhellen, denn eine ganze Woche lang steht das europäische Nachwuchskino im Mittelpunkt des Stadtgeschehens und lockt mit nationalen und internationalen Produktionen im Spiel-, Dokumentar-, Kurz- und Langfilmformat.

 

Hinter den Kulissen ist das BIFF-Team schon fleißig: Mit dem Sichten der Filme sei man größtenteils durch, so die Programmleiterin des Festivals, Karina Gauerhof. Die Auswahl stehe überwiegend fest.

Und die besteht, neben gesetzten, immer wiederkehrenden Sektionen, jedes Jahr auch aus einem Special. So lag der Fokus im letzten November auf der ukrainischen Filmkultur, nun werden Animationsfilme ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Keine leichte Kost

‚Also Kinderfilme‘, denkt der eine oder die andere vielleicht. Dieses Stigma würden Animationen häufig tragen, bedauert Gauerhof. Doch seichte bunte Disney-Klassiker für die ganze Familie sind nicht gemeint. Mit dem Vorurteil möchte das BIFF durch den besonderen Schwerpunkt in diesem Jahr aufräumen, denn alle acht Langspielfilme richten sich an ein erwachsenes Publikum.

Mithilfe von Animationen lassen sich Geschichten noch mal auf eine andere Art erzählen, die Welt wird weiter. Wo die menschlichen und technischen Fähigkeiten an ihre Grenzen stoßen, ist die Fantasie, die durch den Stift aufs Papier fließt, endlos. Die absurdesten Ideen werden auf der Leinwand Wirklichkeit, und nur weil blutige Wunden weniger makaber aussehen, wenn sie animiert sind, heißt das noch längst nicht, dass auch die Geschichten an Härte verlieren. Ganz im Gegenteil: Krieg, Trauma oder Flucht tauchen auch in animierten Werken auf, die das BIFF zeigt.

Geschichten über Identitätsfindung
Die acht Produktionen bilden ab, was das Genre ganz aktuell zu bieten hat und stammen größtenteils aus diesem oder dem vergangenen Jahr.

Der älteste Film ist eine norwegisch-französisch-schwedische Koproduktion von 2018, die beweist, wie vielfältig Animationsstile sind. „The Tower“ bedient sich unter anderem der Stop-Motion-Technik: Dreidimensionale Motive werden in ihrer Position pro Sequenz so minimal verändert, dass es nach dem Schnitt erscheint, als würden sie sich bewegen. Regisseur Mats Grorud erzählt die Geschichte eines 11-jährigen palästinensischen Mädchens, das in einem Geflüchtetencamp in Beirut lebt. Dadurch, dass ihr geliebter Großvater immer schwächer wird, beschäftigt sie sich mit dem Kriegstrauma, das ihrer Familie seit Generationen anhängt. Der Film spielt mit verschiedenen Zeitebenen und wechselt, um dies zu kennzeichnen, zwischendurch in den Zeichentrick-Stil.

Um ein junges Mädchen geht es auch in „My Love Affair With Marriage“, einer lettischen Produktion von Signe Baumane. Wir begleiten die Hauptfigur Zelma beim Heranwachsen zur Frau, Ende der achtziger Jahre in der Sowjetunion. Sobald es markante Ereignisse in der Handlung gibt (Zelma verliebt sich oder bekommt zum ersten Mal ihre Periode), folgt eine kleine Erklär-Sequenz, in der dargestellt wird, was genau nun im Körper der Protagonistin passiert.

Ebenfalls in den Achtzigern, allerdings im Iran, spielt „Die Sirene“, produziert in Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Belgien. Als der Iran-Irak-Krieg ausbricht, ist der 14-jährige Omid zu jung um zu kämpfen, also beschließt er, die Menschen, die in seinem Dorf geblieben sind, zu versorgen. Die Themen Verlust und der Überlebenskampf im Krieg spielen auch in dieser Geschichte eine große Rolle. Regisseurin Sepideh Farsi stammt ebenfalls aus dem Iran und ist vor rund 40 Jahren ins Exil nach Frankreich geflüchtet. „Die Sirene“ feierte Anfang des Jahres auf der Berlinale Weltpremiere.

Zurücklehnen und genießen
Bei aller Dramatik darf die Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Wer Lust hat auf einen extrem abgefahrenen Kinobesuch, sollte sich unbedingt „Unicorn Wars“ anschauen. Der spanisch-französische Antikriegsfilm von Alberto Vázquez wirft zwar eine Menge Einhörner und Teddybären auf die Leinwand, ist für Kinder aber dennoch nicht geeignet, denn trotz Komik geht es ziemlich blutig zu: Eine Armee aus Teddybären zettelt einen Aufstand gegen die Einhörner an, die ihre Existenz bedrohen. Klingt ziemlich verrückt, will der Menschheit im Grunde aber einen Spiegel vors Gesicht halten. Die Macher:innen bewerben den Film als Mischung aus „Apocalypse Now“ und „Bambi“.

Der spanische Cartoonist Juanjo Sáez steuert die Produktion „Tender Metalheads“ bei, eine Coming-of-Age-Geschichte über zwei Jungs aus verschiedenen Familienverhältnissen. Der eine gilt als Außenseiter, der andere gehört zu den ‚Cool Kids‘. Als sie eine gemeinsame Hausaufgabe bearbeiten müssen, tauschen sie sich über Musik, insbesondere Heavy Metal aus und finden so einen Zugang zueinander. Die Bilder sind meist eindimensional, Tische werden beispielsweise wie aufgeklappt abgebildet, mit Beinen, die zur Seite ragen. Außerdem haben die Figuren keine Gesichter, nur bei heftigen Emotionen zeichnet Vázquez ein Lächeln oder große Augen ein.
Beim diesjährigen Braunschweig International Film Festival erwartet uns eine enorme Vielfalt, denn abgesehen vom filmischen Kunstprodukt an sich, ist auch jedes einzelne animierte Werk in seinem individuellen Stil als künstlerische Arbeit zu betrachten – ein wahrer Kinogenuss.

Für Ungeduldige
Zwei Termine zum Merken: In Kooperation mit der Buchhandlung Graff und dem frauenBUNT e.V. liest die Autorin Shole Pakravan am 12. September anlässlich des Jahrestags der Protestbewegung im Iran aus ihrem Buch „Wie man ein Schmetterling wird“. Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit Shole Pakravan und auch der Regisseurin Steffi Niederzoll, die darauf basierend den Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ gedreht hat. In der Reihe „DOK am Montag“ ist der Film dann am 18. September im Universum-Filmtheater zu sehen.

Fotos Jour2Fête, Barton Films, Velvet Spoon, New Europe Film Sales, MUBI

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Laura Schlottke

Geschrieben von Laura Schlottke

„Aki sagt sehr viel ohne viele Worte“

Die nackte Wahrheit: Christiane Mielke