Kennt ihr eigentlich schon…
… Virologin Prof. Dr. Melanie Brinkmann?
Kleine Superhelden mit Schutzschildern, die den Körper vor Krankheiten abschirmen – so ähnlich stellen sich sicherlich die meisten das menschliche Immunsystem vor. Aber irgendwie stimmt es auch: Unser Immunsystem stellt sich Viren in den Weg – sonst wären wir diesen Angreifern völlig ausgeliefert. Wie genau das gelingt, erforscht etwa Dr. Melanie Brinkmann, Virologin und Professorin an der TU Braunschweig, in ihrer Arbeitsgruppe. Einst begann alles mit einem Biologiestudium in Göttingen, Berlin und London, es folgte die Promotion in Hannover. Für einen fast fünfjährigen Aufenthalt zog es die 48-jährige Wahl-Braunschweigerin nach Boston, wo sie an der angeborenen Immunantwort des Menschen forschte. Seit 2010 lebt und lehrt die dreifache Mutter in Braunschweig – hier gehört ihr Labor zu einem ihrer vielen Lieblingsorte der Löwenstadt. Inmitten all des Corona-Chaos wurde Brinkmann gern gesehene Gästin etwa bei MaiThink X oder im ZDF Magazin Royale und sogar stellvertretende Vorsitzende des Expert:innenrats der Bundesregierung. Wenn zwischen all ihren verantwortungsvollen Aufgaben noch Zeit bleibt, radelt Melanie Brinkmann am liebsten auf ihrem Gravel Bike zum Südsee und versüßt sich anschließend den Tag mit frischen Waffeln, Ahornsirup und Himbeeren. Ob dies das Geheimrezept für starke Abwehrkräfte ist ..?
Frau Brinkmann, was tun Sie für Ihre Immunabwehr?
Das Immunsystem ist Teil unseres Gesamtorganismus – und so sollten wir es behandeln. Ich achte auf gesunde Ernährung, bin viel in Bewegung, Ungesundes wie Alkohol oder Rauchen meide ich. Und, ganz wichtig: Ich halte meinen Impfstatus immer auf dem neusten Stand – und damit meine
ich nicht nur die Coronaimpfung.
Ingwertee, kalt duschen oder Actimel – was hilft wirklich für ein starkes Immunsystem?
Kalt duschen ist auf jeden Fall gut für die Venen. Manche glauben, Infektionen seien wichtig für ein starkes Immunsystem. Das ist so pauschal einfach Quatsch und oft auch gefährlich.
Reinigt Dreck wirklich den Magen?
Nein!
Wie sieht Ihre Morgenroutine aus?
Für mich als allererstes zwei Espresso mit Milch, Kalender checken, dann Frühstück und Pausenbrote zubereiten für die Jungs, Vokabeln abfragen, Fahrradhelme bereithalten, dann schnell ins Bad, ein paar Mails bearbeiten, aufs Rad schwingen und an „meine“ TU radeln.
Achten Sie noch streng auf Hygienemaßnahmen?
Über den Sommer kaum – jetzt zum Herbst hin werde ich wieder vermehrt Maske in Innenräumen tragen. Und Händewaschen wenn man nach Hause kommt, ist immer ratsam!
Was hat Ihr Interesse an Viren und dem menschlichen Immunsystem geweckt?
Ohne unser Immunsystem wären wir Viren vollkommen ausgeliefert. Mich fasziniert, wie unser Immunsystem diesen Angreifern Paroli bietet. Leider ist es damit nicht immer erfolgreich – viele Viren können das Immunsystem gezielt ausschalten oder es sogar für ihre eigenen Zwecke nutzen. Wie genau ihnen das gelingt, erforschen wir in meiner Arbeitsgruppe – mit dem Ziel, bessere
Therapien zu entwickeln.
Hat die Wissenschaft aktuell – sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik – ein Vertrauensproblem?
Das nehme ich so nicht wahr. Wissenschaftsfeindlichkeit in bestimmten Bevölkerungsgruppen gab es immer. Insgesamt aber sind das Interesse an und die Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen sehr groß in der Pandemie. Als großes Problem empfand ich die nicht sehr einheitliche Kommunikation aus der Wissenschaft, zum Beispiel ob nun im Jahr 2020 oder 2021 eine Herbstwelle drohte, die durch bestimmte Medienformate noch verstärkt wurde. Auch die teils uneinheitlichen Regeln in den einzelnen Bundesländern – das hat zu einem Vertrauensverlust geführt, der die Pandemiebekämpfung erschwert hat.
Wie gehen Sie mit Fake News im Internet um?
Ich wundere mich. Das ist tatsächlich etwas, das mich in der Pandemie sehr überrascht hat. Dieses Phänomen hat vielen Menschen das Leben gekostet.
Lohnt sich eine Diskussion mit Corona-Leugner:innen? Mit den Hartgesottenen?
Leider nein… Aber ich würde es trotzdem immer wieder versuchen, zumindest im persönlichen Gespräch. Im Prinzip geht es in der Kommunikation um die Breite der Bevölkerung und weniger um die ein bis zwei Prozent an den extremen Rändern.
Braucht es einen langen Geduldsfaden, wenn man in der Wissenschaftskommunikation tätig ist?
Oh ja, aber es macht auch Spaß. Ich habe viel Dankbarkeit und Anerkennung dadurch erfahren. Und den Hass, der mir in den sozialen Medien begegnet, den atme ich weg.
Wie schwierig ist es, komplexe Sachverhalte für die breite Masse verständlich und erklärbar zu machen?
Mit fällt es relativ leicht, ich wollte ja auch mal Wissenschaftsjournalistin werden. Aber man muss schon genau überlegen, wie man Dinge einfach erklärt, ohne den Inhalt zu verfälschen. Oft helfen bildhafte Vergleiche – ist aber gar nicht so leicht, die müssen dann ja auch gut passen und dürfen nicht „hinken“. In der Bundespressekonferenz 2022 gab es etwa den Vergleich mit Chirurgen und dem Anschnallgurt: Wir sagen ja auch nicht, dass wir keinen Anschnallgurt mehr tragen, weil wir so tolle Chirurgen haben, die uns wieder zusammenflicken. Oder Anne Will erklärte einmal Exponentielles Wachstum mit Regentropfen im Fußballstadion.
Sie gehören zum Corona-Expert:innenrat der der Bundesregierung. Wie sind Sie da reingekommen?
Das wüsste ich auch gerne…
War die Corona-Pandemie aus virologischer Sicht vorhersehbar?
Ja. Nur der genaue Zeitpunkt nicht.
Ihre Prognose für die bevorstehende kalte Jahreszeit?
Es wird neue Varianten geben. Und neue Infektionswellen. Und wir werden wieder einen höheren Krankheitsstand haben. Durch die viel bessere Immunitätslage in der Bevölkerung im Vergleich zu den letzten beiden Wintern, durch Impfung und Infektion, werden wir wahrscheinlich keine überfüllten Intensivstationen sehen. Trotzdem wird es aus meiner Sicht sinnvoll, das Infektionsgeschehen etwas abzubremsen. Durch Masken in Innenräumen und gute Belüftung. Aber es könnte auch schlimmer kommen. Dieses Virus zirkuliert sehr erfolgreich immer wieder durch die Bevölkerung – dadurch entstehen kontinuierlich neue Varianten. Wenn wir Pech haben, könnte sich eine Variante durchsetzen, die wieder schwerere Verläufe verursacht. Dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich, ganz auszuschließen ist es nicht.
Vierte Impfung sinnvoll – ja oder nein?
Die vierte Impfung sollten alle Menschen über 60 Jahre wahrnehmen. Aber auch jüngere Menschen, die beispielsweise in ihrem Alltag dem Virus stark ausgesetzt sind oder viel Kontakt mit vulnerablen Menschen haben, könne sich in Absprache mit ihrem Arzt ein weiteres Mal impfen lassen. Hinzu kommen Personen mit einem erhöhten Risiko für schwere COVID-19-Verläufe infolge einer Grunderkrankung: Sie sollten schon ab dem Alter von 5 Jahren die vierte Impfung wahrnehmen. Ich empfehle auch die Impfung für gesunde Kinder ab 5 Jahren – es gibt einen zugelassenen Impfstoff und eine klare Empfehlung von der Ständigen Impfkommission. Und die Grippeimpfung kann man in dem Zuge auch
gleich noch erledigen.
Wie spannend ist so eine Pandemie aus virologischer/wissenschaftlicher Sicht?
Sehr. Aber ich hätte gerne darauf verzichtet.
Inwiefern hat sich Ihr Berufsalltag seit der Corona-Pandemie verändert?
Zwei Jahre lang Ausnahmezustand – jetzt kehrt so langsam Normalität ein.
Sie hatten in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Fernsehauftritte – wie wohl fühlen Sie sich vor der Kamera?
Ich vergesse, dass da eine Kamera ist. Aber wohlfühlen? Hmm, wohler fühle ich mich auf der Bühne bei einem wissenschaftlichen Vortrag.
Unter anderem waren Sie im ZDF Magazin Royale zu sehen. Warum ist es wichtig, den Humor auch in Krisenzeiten nicht zu verlieren?
Es war teilweise ziemlich finster – ohne Humor hätte ich diese
Pandemie nicht überstanden.
Werden Sie auf der Straße erkannt?
Ja, das kommt vor. Nett war neulich eine Dame vor einem Braunschweiger Klinikum: „Ich kenne Sie doch irgendwoher – au Mann, ich komme nicht drauf.“
Sie waren in Talkshows, bei Jan Böhmermann und Mai Thi Nguyen-Kim – sind Virlog:innen die neuen Super- und Fernsehstars?
Oh nein, bitte nicht – wir gehören in die Wissenschaft. Aber Wissenschaft zu kommunizieren ist so wichtig – aber ohne Starstatus bitte.
Was würden Sie Karl Lauterbach raten?
Manchmal ist weniger mehr.
Wie gönnen Sie sich auch mal Urlaub fürs Gehirn?
Ich liebe es, ins Kino zu gehen. Am besten Abschalten tue ich aber in der Natur: zu Fuß, auf dem Rad oder beim Schwimmen.
Was bringt Sie richtig auf die Palme?
Mansplaining.
Was können Sie gar nicht?
Rumsitzen und nichts tun.
Ihre schlechteste Angewohnheit?
Schokolade essen.
Ihre beste?
Das müssen Sie andere fragen.
Was wollten Sie als Kind werden?
Cowboy – etwas später dann Journalistin.
Was treibt Sie für Ihre Arbeit an?
Vor allem Neugier und der Wunsch, durch meine Forschung und Kommunikation zu einer besseren Gesundheit unserer Gesellschaft beizutragen.
Was würden Sie tun, wenn Sie nie wieder arbeiten müssten?
Auf Radreisen gehen, italienisch lernen, jeden Tag Sport treiben und mit meinen Kindern, irgendwann Enkelkindern, auf Safari gehen. Und gaaaanz viele Bücher lesen. Und vielleicht auch eins schreiben.
Fotos Moritz Kuestner